8. Einige Argumente
für die Annahme einer
molekularen Agitation
beim absoluten Nullpunkt;
von
A. Einstein und O. Stern.
--------
Der Ausdruck für die Energie eines Resonators lautet
nach der ersten
Planckschen Formel:
| (1) |
nach der zweiten:
| (2) |
Der Grenzwert für hohe Temperaturen wird, wenn wir
die Entwickelung von
e
mit dem quadratischen Gliede ab-
brechen, für (1):
für (2):
Die Energie als Funktion der Temperatur, wie sie in
Fig. 1 dargestellt
ist, beginnt also nach Formel (1) für T = 0
mit Null, dem von der klassischen
Theorie
geforderten Werte, bleibt aber bei
hohen
Temperaturen ständig um das Stück h 2
kleiner als dieser. Nach Formel (2) hat
der Resonator
beim absoluten Nullpunkt
die Energie h 2,
im Widerspruch zur
klassischen Theorie, erreicht
aber bei hohen
Temperaturen asymptotisch die
von dieser
geforderte Energie. Dagegen ist der Diffe-
rentialquotient der Energie nach der Temperatur,
d. h. die
spezifische Wärme, in beiden Fällen gleich.
Für Gebilde mit unveränderlichem sind diese Formeln
also gleichwertig,
während die Theorie solcher Gebilde, deren
für verschiedene Zustände
verschiedene Werte hat, durch die
Annahme einer Nullpunktsenergie wesentlich
beeinflußt wird.
Der ideale Fall wäre der eines aus monochromatischen Ge-
bilden
bestehenden Systems, dessen -Wert unabhängig von
der Temperatur willkürlich
geändert werden kann. Die Ab-
hängigkeit der Energie von der Frequenz bei
konstanter Tem-
peratur würde wesentlich von der Existenz einer Nullpunkts-
energie abhängen. Leider liegen Erfahrungen über ein der-
artiges Gebilde nicht
vor. Wohl aber kennen wir in den
rotierenden Gasmolekülen Gebilde,
deren thermische Bewegungen
mit denen monochromatischer Gebilde
eine weitgehende Ähn-
lichkeit aufweisen1), und bei welchen die mittlere
Frequenz
mit der Temperatur veränderlich ist. An diesen Gebilden ist
also die
Berechtigung der Annahme einer Nullpunktsenergie
in erster Linie zu prüfen. Im
folgenden soll zunächst unter-
sucht werden, inwiefern wir aus der Planckschen
Formel auf
das theoretische Verhalten solcher Gebilde Rückschlüsse ziehen
können.
Die spezifische Wärme des Wasserstoffs bei tiefen
Temperaturen.
Es handelt sich um die Frage, wie die Energie der Rotation
eines zweiatomigen
Moleküls von der Temperatur abhängt.
Analog wie bei der Theorie der
spezifischen Wärme fester
Stoffe sind wir zu der Annahme berechtigt, daß die
mittlere
kinetische Energie der Rotation davon unabhängig ist, ob das
Molekül in
Richtung seiner Symmetrieachse ein elektrisches Mo-
ment besitzt oder nicht. Im
Falle, daß das Molekül ein solches
Moment besitzt, darf es das thermodynamische
Gleichgewicht
zwischen Gasmolekülen und Strahlung nicht stören. Hieraus
kann
man schließen, daß das Molekül unter der Einwirkung der
Strahlung allein
dieselbe kinetische Energie der Rotation an-
nehmen muß, die es durch die
Zusammenstöße mit anderen
Molekülen erhalten würde. Die Frage ist also, bei
welchem
----------
1) Hierauf hat zuerst Nernst aufmerksam gemacht, vgl. Zeitschr.
f. Elektroch.
17. p. 270 u. 825. 1911.
Mittelwerte der Rotationsenergie sich eiu träger, starrer Dipol
mit Strahlung von
bestimmter Temperatur im Gleichgewicht
befindet. Wie die Gesetze der
Ausstrahlung auch sein mögen,
so wird doch wohl daran festzuhalten
sein, daß ein rotierender
Dipol doppelt so viel Energie pro Zeiteinheit
ausstrahlt als
ein eindimensionaler Resonator, bei dem die Amplitude des
elektrischen und mechanischen Moments gleich dem elektri-
schen und
mechanischen Moment des Dipols ist. Analoges
wird auch von dem Mittelwert der
absorbierten Energie gelten.
Machen wir nun noch die vereinfachende
Näherungsannahme,
daß bei gegebener Temperatur alle Dipole unseres
Gases gleich
rasch rotieren, so werden wir zu dem Schluß geführt, daß im
Gleichgewicht die kinetische Energie eines Dipols doppelt so
groß sein muß, wie
die eines eindimensionalen Resonators von
gleicher Frequenz. Bei den
gemachten Annahmen können wir
die Ausdrücke (1) bzw. (2) direkt zur
Berechnung der kine-
tischen Energie eines mit zwei Freiheitsgraden rotierenden
Gasmoleküls anwenden, wobei bei jeder Temperatur zwischen E
und die
Gleichung
besteht (J Trägheitsmoment des Moleküls).
So ergibt sich für die Energie der Rotation pro Mol:
| (3) |
bzw.
| (4) |
Da nun und T durch eine transzendente Gleichung verknüpft
sind, ist es nicht
möglich, dE dT als explizite Funktion von T
auszudrücken, sondern man erhält,
falls man zur Abkürzung
2 2J = p setzt, als Formel für die spezifische Wärme der
Rotation:
| (5) |
bzw.
| (6) |
wobei und T durch die Gleichung:
| (5a) |
bzw.
| (6a) |
verbunden sind. In Fig. 2 stellt die Kurve I die auf Grund
von (6) und (6a)
berechnete spezifische Wärme dar, wobei p
den Wert 2, 90 . 10-40 hat;1) Kurve II ist aus (5) und (5a) mit
Hilfe von
p = 2 . 10-40 berechnet. Die Kreuzchen bezeichnen
die von Eucken2) gemessenen
Werte. Wie man sieht, zeigt
die Kurve II einen Verlauf, der mit den Versuchen in
völligem
----------
1) Berechnet man den zu diesem Trägheitsmoment gehörigen Molekül-
durchmesser, so ergibt er sich zu 9 . 10-9, etwa halb so groß, als der
gastheoretisch
ermittelte Wert.
2) Eucken, Sitzungsber. d. preuß. Akad. p. 141. 1912.
Widerspruch steht, während Kurve I, die auf der Annahme
einer Nullpunktsenergie
basiert, die Resultate der Messungen
in vorzüglicher Weise widergibt. Um
festzustellen, welchen
Wert nach Formel (4) für die Grenze T = 0 annimmt,
schreiben wir (4) in folgender Form:
Dann sieht man, daß für T = 0 nicht gleich Null werden
kann, da die rechte
Seite dann gegen -1 konvergieren würde,
während auf der linken eine Potenz von
e steht. Es muß also
für lim T = 0 endlich bleiben, und zwar muß die rechte
Seite ebenso wie die linke gegen konvergieren, es muß
daher p0 - h 2 = 0
sein, falls wir mit 0 den Grenzwert
von für T = 0 bezeichnen. Es ist also
0 = h 2 p. Im vor-
liegenden Falle ergibt sich 0 zu 11, 3.1012. Der Wert von
ändert sich zunächst auch sehr wenig mit steigender Tempe-
ratur; so ist bei 1020
abs. = 11, 4.1012, bei 1890 = 12, 3.1012 ,
bei 3230 = 14, 3.1012. Dies
erklärt nun, weshalb Eucken
seine Messungen verhältnismäßig noch am
besten durch die
einfache Einsteinsche Formel mit von der Temperatur un-
abhängigem (Kurve III, Fig. 2) darstellen konnte. Jedoch
sieht man,
daß auch diese Formel, namentlich bei höheren
Temperaturen, versagt,
abgesehen davon, daß ohne die An-
nahme der Nullpunktsenergie die
Konstanz von völlig un-
verständlich bleibt. Man sieht also, daß die
spezifische Wärme
des Wasserstoffs die Existenz einer Nullpunktsenergie
wahr-
scheinlich macht, und es handelt sich nur noch darum, zu
prüfen,
wie weit der spezielle Wert von h 2 als gesichert
anzusehen ist. Da
nun in der folgenden Untersuchung über
das Strahlungsgesetz der Betrag
der Nullpunktsenergie zu h
angenommen werden muß, haben wir die
spezifische Wärme des
Wasserstoffs auch für diese Annahme berechnet
(p = 5, 60.10-40,
Kurve IV, Fig. 2). Es ist ersichtlich, daß die Kurve bei
höheren
Temperaturen zu steil und zu hoch ist. Andererseits
ist zu bemerken, daß bei
Berücksichtigung der Geschwindig-
keitsverteilung unter den Molekülen die Kurve
jedenfalls etwas
flacher ausfallen dürfte. Es ist demnach zwar unwahrschein-
lich, aber nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß die Null-
punktsenergie den
Wert h besitzt.1)
Die Ableitung des Strahlungsgesetzes.
Im folgenden soll gezeigt werden, wie sich auf Grund
der Annahme einer
Nullpunktsenergie die Plancksche Strah-
lungsformel in ungezwungener, wenn
auch nicht ganz strenger
Weise ableiten läßt, und zwar ohne jede Annahme über
irgend-
welche Diskontinuitäten. Der Weg, den wir hierzu einschlagen,
ist im
wesentlichen derselbe, den Einstein und Hopf2) in
einer vor 2 Jahren erschienenen
Abhandlung benutzten. Wir
betrachten die fortschreitende Bewegung eines
freibeweglichen
Resonators, der etwa an einem Gasmolekül festsitzt, unter
dem
Einflusse eines ungeordneten Strahlungsfeldes. Im ther-
mischen Gleichgewicht
muß dann die mittlere kinetische Energie,
die das Gasmolekül durch die Strahlung
erhält, gleich der-
jenigen sein, die es durch Zusammenstöße mit anderen Mole-
külen bekommen würde. Man erhält so den Zusammenhang
zwischen der
Dichte der schwarzen Strahlung und der mitt-
leren kinetischen Energie
einer Gasmolekel, d. h. der Tem-
peratur. Einstein und Hopf finden auf
diese Weise das
Rayleigh-Jeanssche Gesetz. Wir wollen nun dieselbe Be-
----------
1) Nimmt man die Entropie rotierender Gebilde gleich der fester
Stoffe nach
dem Nernstschen Theorem für T = 0 zu Null an, so ergibt
sich der gesamte von
der Rotation der zweiatomigen Moleküle her-
rübrende Anteil der Entropie eines
Mols zu
Für hohe Temperaturen wird:
Nach Sackur (Nernst-Festschrift p. 414. 1912) ist die Entropiekonstante
der
Rotation:
in der Hauptsache, nämlich dem Ausdruck J k h2, mit dem obigen Aus-
druck
übereinstimmend. Dasselbe Resultat erhält man übrigens, wenn
man für cr nicht
Formel (5), sondern Formel (6) einsetzt.
2) A. Einstein u. L. Hopf, Ann. d. Phys. 33. p. 1105--1115. 1910.
trachtung unter der Annahme einer Nullpunktsenergie durch-
führen. Der Einfluß,
den die Strahlung ausübt, läßt sich nach
Einstein und Hopf in zwei verschiedene
Wirkungen zer-
legen. Erstens einmal erleidet die geradlinig fortschreitende
Bewegung des Resonatormoleküls eine Art Reibung, veran-
laßt durch den
Strahlungsdruck auf den bewegten Oszillator.
Diese Kraft K ist proportional der
Geschwindigkeit v, also
K = -P v, wenigstens falls v klein gegen die
Lichtgeschwin-
digkeit ist. Der Impuls, den das Resonatormolekül in der
kleinen Zeit , während deren sich v nicht merklich ändern
soll, erhält,
ist also -P v . Zweitens erteilt die Strahlung
dem Resonatormolekül
Impulsschwankungen , die von der
Bewegung des Moleküls in erster
Annäherung unabhängig und
für alle Richtungen gleich sind, so daß nur
ihr quadratischer
Mittelwert 2 während der Zeit für die kinetische
Energie
maßgebend ist. Soll nun diese den von der statistischen
Mechanik
geforderten Wert k (T/2) besitzen (der Oszillator soll
der Einfachheit
halber nur in der x-Richtung beweglich sein
und nur in der z-Richtung
schwingen), so muß nach Einstein
und Hopf (l. c. p. 1107) folgende Gleichung
gelten:
Was nun die Berechnung von P anlangt, so können wir an-
nehmen, daß hierfür
nur die von der Strahlung selbst an-
geregten Schwingungen in Betracht kommen,
und daß man
diese so berechnen kann, als ob die Nullpunktsenergie nicht
vorhanden wäre. Wir können also den von Einstein und
Hopf berechneten Wert (l.
c. p. 1111):
benutzen.
Um nun 2 zu berechnen, setzen wir (l. c. p. 1111) den
Impuls, welchen der
Oszillator während der Zeit in der
x-Richtung erfährt:
wobei f das Moment des Oszillators ist. Wir wollen zunächst
nur den Fall
betrachten, daß die Energie der durch die Strah-
lung angeregten Schwingung zu vernachlässigen ist gegen die
Nullpunktsenergie
des Resonators, was bei genügend tiefen
Temperaturen sicher erlaubt ist.
Bezeichnen wir mit f0 das
maximale Moment des Resonators, so ist:
wobei T eine große Zeit und n0 T = 0 die Frequenz des
Resonators ist. Gz x
setzen wir als Fouriersche Reihe an:
Dann wird:
da das mit 1 n0 + n behaftete Glied wegfällt, weil n0 + n eine
sehr große Zahl ist.
Setzt man nun nT = und quadriert,
so wird:
oder:
Nun ist (l. c. p. 1114):
Also ist:
Besitzt nun der Resonator die Nullpunktsenergie h1), so ist:
----------
1) Es hat sich gezeigt, daß bei der hier skizzierten Rechnungs-
weise die
Nullpunktsenergie gleich h gesetzt werden muß, um zur
Planckschen
Strahlungsformel zu gelangen. Spätere Untersuchungen
müssen zeigen, ob die
Diskrepanz zwischen dieser Annahme und der
bei der Untersuchung über
den Wasserstoff zugrunde gelegten Annahme
bei strengerer Rechnung
verschwindet.
2) M. Planck, Wärmestrahlung 6. Aufl. p. 112 (Gleichung (168)).
Mithin ist:
Setzt man dies in die Gleichung
ein, so gelangt man zum Wienschen Strahlungsgesetz. Wir
wollen hier jedoch
gleich die Voraussetzung, daß die durch
die Strahlung angeregte Schwingung des
Resonators zu ver-
nachlässigen sei, aufgeben. Nehmen wir nun an, daß die
Energie der dem Resonator von der Strahlung erteilten Schwin-
gungen
Impulsschwankungen liefert, die von den der Null-
punktsenergie entsprechenden
Schwankungen unabhängig sind,
so können wir den quadratischen Mittelwert
beider Impuls-
schwankungen addieren.1) Wir haben also zu dem oben be-
rechneten Wert für 2 noch den von Einstein und Hopf
(l. c. p. 1114, Gleichung
(15)) hinzuzufügen und erhalten:
Andererseits ist:
Es ergibt sich demnach als Differentialgleichung für :
Die Auflösung dieser Gleichung liefert:
das Plancksche Strahlungsgesetz, und die Energie des Reso-
nators ergibt sich
zu:
----------
1) Es braucht kaum betont zu werden, daß diese Art des Vor-
gehens sich nur
durch unsere Unkenntnis der tatsächlichen Resonator-
gesetze rechtfertigen läßt.
Zusammenfassung.
1. Die Euckensche Resultate über die spezifische Wärme
des Wasserstoffs
machen die Existenz einer Nullpunktsenergie
vom Betrage h 2 wahrscheinlich.
2. Die Annahme der Nullpunktsenergie eröffnet einen
Weg, die Plancksche
Strahlungsformel ohne Zuhilfenahme
irgendwelcher Diskontinuitäten abzuleiten.
Es erscheint je-
doch zweifelhaft, ob auch die anderen Schwierigkeiten sich
ohne
die Annahme von Quanten werden bewältigen lassen.
Zürich, Dezember 1912.
(Eingegangen 5. Januar 1913.)
----------
Anmerkung bei der Korrektur:
Hr. Prof. Weiß machte uns darauf aufmerksam, daß auch
die Curieschen
Messungen über den Paramagnetismus des
gasförmigen Sauerstoffs darauf
hinweisen, daß dessen Rotations-
energie bei hohen Temperaturen den von der
klassischen
Theorie geforderten Wert und nicht einen um h 2 kleineren
besitzt,
wie dies ohne die Annahme einer Nullpunktsenergie
zu erwarten sein würde. Es
läßt sich leicht zeigen, daß in
letzterem Falle bei der Genauigkeit der Curieschen
Mes-
sungen sich Abweichungen vom Curieschen Gesetz hätten
zeigen
müssen.
----------