12.Relativität und Gravitation.
Erwiderung
auf eine
Bemerkung von M. Abraham;
von A. Einstein.
--------
In einer in diesen Annalen erscheinenden Notiz hat
M. Abraham auf einige von
mir geäußerte kritische Bedenken
zu seinen Untersuchungen über Gravitation
geantwortet, sowie
seinerseits an meinen Arbeiten über diesen Gegenstand Kritik
geübt. Ich will im folgenden auf die von ihm berührten
Punkte einzeln eingehen und
insbesondere meine Ansichten
über den gegenwärtigen Stand der Relativitätstheorie
den von
ihm geäußerten gegenüberstellen.
Abraham bemerkt, ich hätte durch das Aufgeben des
Postulates von der
Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und
durch den damit zusammenhängenden
Verzicht auf die In-
varianz der Gleichungssysteme gegenüber Lorentztransforma-
tionen der Relativitätstheorie den Gnadenstoß gegeben. Um
hierauf zu antworten,
bedarf es einer Überlegung über die
Grundlagen der Relativitätstheorie.
Die gegenwärtig als ,,Relativitätstheorie“ bezeichnete
Theorie ruht auf zwei
Prinzipen, die voneinander durchaus
unabhängig sind, nämlich
1. dem Relativitätsprinzip (bezüglich gleichförmiger Trans-
lation),
2. dem Prinzip von der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit.
Ich will diese beiden Prinzipe genauer formulieren, nicht
in der Meinung, etwas
Neues dabei vorzubringen, sondern nur,
um mich nachher bequemer ausdrücken zu
können. Wir
stellen zwei Formulierungen des Relativitätsprinzipes einander
gegenüber:
1. Beziehen wir die physikalischen Systeme auf ein solches
Koordinatensystem K,
daß die Naturgesetze möglichst einfach
werden, so gibt es unendlich viele
Koordinatensysteme, in
bezug auf welche jene Gesetze dieselben sind, nämlich alle
diejenigen Koordinatensysteme, die sich in gleichförmiger Trans-
lationsbewegung
relativ zu K befinden.
2. Es sei ein von allen übrigen physikalischen Systemen
(im Sinne der
geläufigen Sprache der Physik) isoliertes System,
und es sei auf ein solches
Koordinatensystem K bezogen,
daß die Gesetze, welchen die räumlich-zeitlichen
Änderungen
von gehorchen, möglichst einfache werden; dann gibt es
unendlich viele
Koordinatensysteme, in bezug auf welche jene
Gesetze die gleichen sind, nämlich alle
diejenigen Koordinaten-
systeme, die sich relativ zu K in gleichförmiger Translations-
bewegung befinden.
Es ist leicht einzusehen, daß lediglich das Relativitäts-
prinzip in der Form 2
durch die uns gegebenen Erfahrungen
nahe gelegt wird. Es bezeichne nämlich
wieder das be-
trachtete ,,isolierte“ System, U die Gesamtheit aller übrigen
Systeme
der Welt. Um das Relativitätsprinzip in der Form 1
zu prüfen, müßte man zwei
Versuche ausführen, in deren
ersten U und relativ zu K in genau denselben
Zustand ge-
bracht werden, wie im zweiten Versuche relativ zu K'. Dies
ist niemals
möglich gewesen und wird nie möglich sein. Um
das Prinzip in der Form 2 zu prüfen,
hat man dagegen nur
allein in verschiedene Zustände zu bringen, ohne sich um U
zu kümmern; man hat zwei Versuche auszuführen, in deren
ersten allein relativ zu
K in denselben Zustand gebracht
wird wie in dem zweiten Versuche relativ zu
K'.
Die Auseinanderhaltung dieser beiden Formulierungen
war bisher überflüssig, da
man dem ,,Restsystem“ U keinerlei
Einfluß auf die Vorgänge in bezug auf
einräumte. Aber
meine und Abrahams Überlegungen über die Gravitation
lassen eine
solche Auffassung nicht zu. Nach diesen Über-
legungen hängt der Ablauf der
Vorgänge in (z. B. die
Lichtgeschwindigkeit) vom Zustande von U (z. B. vom
mittleren
Abstand der U konstituierenden Einzelsysteme von ) ab.
Es
muß aber daran festgehalten werden, daß das Relativitäts-
prinzip in der
Form 2 durch den Charakter unserer gesamten
physikalischen Erfahrung
und insbesondere durch den Ver-
such von Michelson und Morley derart
gestützt wird, daß
es mächtiger Argumente bedürfte, um einen Zweifel in jenem
Prinzip zu begründen. Man kann das Relativitätspostulat in
der durch die
Erfahrung gestützten Form 2 abgekürzt, aber
weniger präzis auch so aussprechen:
,,Die Relativgeschwindigkeit des Bezugssystems K gegen
das Restsystem U geht
in die physikalischen Gesetze nicht ein.“
Die im vorigen angedeuteten Überlegungen bringen es
nach meiner Ansicht mit
sich, daß jede Theorie abzulehnen
ist, welche ein Bezugssystem gegenüber den relativ
zu ihm in
gleichförmiger Translation befindlichen Bezugssystemen aus-
zeichnet.
Abraham macht sogar den Versuch, ein derartiges
ausgezeichnetes Bezugssystem
festzulegen mit den Worten:
,,Wenn unter allen Bezugssystemen dasjenige
ausgezeichnet
ist, in welchem das Schwerefeld statisch oder quasi-statisch
ist, so ist es
erlaubt, eine auf dieses System bezogene Be-
wegung ,,absolut“ zu nennen usw.“ Dies
scheint mir selbst
dann nicht richtig zu sein, wenn man jedes Element eines
dynamischen Schwerefeldes durch eine Geschwindigkeitstrans-
formation auf ein
statisches transformieren könnte. Denn daß
eine derartige Transformation gleichzeitig
alle Elemente eines
dynamischen Gravitationsfeldes in dieser Weise transformieren
würde, ist ausgeschlossen; es kann also durch eine derartige
Festsetzung kein
Bezugssystem gegenüber allen relativ zu ihm
gleichförmig bewegten ausgezeichnet
werden.
Es ist allgemein bekannt, daß auf das Relativitätsprinzip
allein eine Theorie der
Transformationsgesetze von Raum und
Zeit nicht gegründet werden kann. Es hängt
dies bekannt-
lich mit der Relativität der Begriffe ,,Gleichzeitigkeit“ und
,,Gestalt
bewegter Körper“ zusammen. Um diese Lücke aus-
zufüllen, führte ich das der H. A.
Lorentzschen Theorie des
ruhenden Lichtäthers entlehnte Prinzip von der Konstanz
der
Lichtgeschwindigkeit ein, das ebenso wie das Relativitäts-
prinzip eine
physikalische Voraussetzung enthält, die nur durch
die einschlägigen Erfahrungen
gerechtfertigt erschien (Versuche
von Fizeau, Rowland usw.). Dies Prinzip
besagt:
Es existiert ein Bezugssystem K, in dem sich jeder Licht-
strahl im Vakuum mit
der universellen Geschwindigkeit c fort-
pflanzt, unabhängig davon, ob der
lichtaussendende Körper
relativ zu K ruht oder bewegt ist.
Aus diesen beiden Prinzipien heraus läßt sich diejenige
Theorie entwickeln, welche
gegenwärtig unter dem Namen
,,Relativitätstheorie“ bekannt ist. Diese Theorie
ist in dem
Umfange richtig, als die beiden ihr zugrunde gelegten Prinzipe
zutreffen. Da diese in weitem Umfange zuzutreffen scheinen, so
scheint auch die
Relativitätstheorie in ihrer jetzigen Form einen
wichtigen Fortschritt zu bedeuten; ich
glaube nicht, daß sie
die Fortentwickelung der theoretischen Physik gehemmt
hat!
Wie steht es nun aber mit der Grenze der Gültigkeit
der beiden Prinzipe? An der
allgemeinen Gültigkeit des
Relativitätsprinzips zu zweifeln, haben wir -- wie
schon
hervorgehoben -- nicht den geringsten Grund. Dagegen bin
ich der
Ansicht, daß das Prinzip der Konstanz der Licht-
geschwindigkeit sich nur
insoweit aufrecht erhalten läßt, als
man sich auf raum-zeitliche Gebiete von
konstantem Gravi-
tationspotential beschränkt. Hier liegt nach meiner Meinung die
Grenze der Gültigkeit zwar nicht des Relativitätsprinzips wohl
aber des
Prinzips der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und
damit unserer heutigen
Relativitätstheorie. Zu dieser Meinung
führen mich die im folgenden angedeuteten
Überlegungen.
Eines der wichtigsten Resultate der Relativitätstheorie ist
die Erkenntnis, daß
jegliche Energie E eine ihr proportionale
Trägheit (E/c2) besitzt. Da nun jede träge
Masse zugleich
eine schwere Masse ist, soweit unsere Erfahrung reicht, können
wir
nicht umhin, einer jeden Energie E auch eine schwere
Masse E/c2 zuzuschreiben.1)
Hieraus folgt sofort, daß die
Schwere auf einen bewegten Körper stärker wirkt, als auf
denselben Körper, falls dieser ruht.
Wenn sich das Schwerefeld im Sinne unserer heutigen
Relativitätstheorie
deuten läßt, so kann dies wohl nur auf
zwei Arten geschehen. Man kann
den Gravitationsvektor ent-
weder als Vierervektor oder als Sechservektor
auffassen. Für
jeden dieser beiden Fälle ergeben sich Transformationsformeln
für den Übergang zu einem gleichförmig bewegten Bezugs-
system. Mittels
dieser Transformationsformeln und der Trans-
formationsformeln für die
ponderomotorischen Kräfte gelingt
es dann, für beide Fälle die auf in einem
statischen Schwere-
----------
1) Hr. Langevin machte mich mündlich darauf aufmerksam, daß
man zu einem
Widerspruch mit der Erfahrung kommt, wenn man diese
Annahme nicht macht. Da
nämlich beim radioaktiven Zerfall große
Energiemengen abgegeben werden, muß
dabei die träge Masse der Materie
abnehmen. Nähme die schwere Masse nicht
proportional ab, so müßte
die Schwerebeschleunigung von aus verschiedenen
Elementen bestehenden
Körpern in demselben Schwerefelde eine nachweisbar
verschiedene sein.
feld bewegte materielle Punkte wirkenden Kräfte zu finden.
Man kommt hierbei aber
zu Ergebnissen, die den genannten
Konsequenzen aus dem Satz von der schweren
Masse der
Energie widerstreiten. Es scheint also, daß der Gravitations-
vektor sich in
das Schema der heutigen Relativitätstheorie
nicht widerspruchsfrei einordnen
läßt.
Diese Sachlage bedeutet nach meiner Ansicht aber keines-
wegs das Scheitern
der auf das Relativitätsprinzip gegründeten
Methode, ebensowenig als die
Entdeckung und richtige Deutung
der Brownschen Bewegung dazu führt, die
Thermodynamik
und Hydromechanik als Irrlehren anzusehen. Die heutige
Relativitätstheorie wird nach meiner Ansicht stets ihre Be-
deutung behalten als
einfachste Theorie für den wichtigen
Grenzfall des zeiträumlichen Geschehens bei
konstantem Gravi-
tationspotential. Aufgabe der nächsten Zukunft muß es sein,
ein
relativitätstheoretisches Schema zu schaffen, in welchem
die Äquivalenz zwischen
träger und schwerer Masse ihren
Ausdruck findet. Einen ersten, recht bescheidenen
Beitrag
zur Erreichung dieses Zieles habe ich in meinen Arbeiten
über das statische
Gravitationsfeld zu geben gesucht. Dabei
ging ich von der nächstliegenden
Auffassung aus, daß die
Äquivalenz von träger und schwerer Masse dadurch auf einer
Wesensgleichheit dieser beiden elementaren Qualitäten der
Materie bzw. der
Energie zurückzuführen sei, daß das statische
Gravitationsfeld als physikalisch
wesensgleich mit einer Be-
schleunigung des Bezugssystems aufgefaßt wird.
Es ist zu-
zugestehen, daß ich diese Auffassung nur für unendlich kleine
Räume widerspruchsfrei durchführen konnte, und daß ich hier-
für keinen
befriedigenden Grund anzugeben weiß. Aber ich
sehe hierin keinen Grund, jenes
Äquivalenzprinzip auch für
das unendlich Kleine abzuweisen; niemand wird leugnen
können,
daß dies Prinzip eine natürliche Extrapolation einer der all-
gemeinsten
Erfahrungssätze der Physik ist. Andererseits er-
öffnet uns dies Äquivalenzprinzip die
interessante Perspektive,
daß die Gleichungen einer auch die Gravitation umfassen-
den Relativitätstheorie auch bezüglich Beschleunigungs- (und
Drehungs-)
Transformationen invariant sein dürften. Allerdings
scheint der Weg zu diesem Ziele
ein recht schwieriger zu sein.
Man sieht schon aus dem bisher behandelten, höchst
speziellen
Falle der Gravitation ruhender Massen, daß die Raum--Zeit-
Koordinaten ihre
einfache physikalische Deutung einbüßen
werden, und es ist noch nicht abzusehen,
welche Form die
allgemeinen raumzeitlichen Transformationsgleichungen haben
könnten. Ich möchte alle Fachgenossen bitten, sich an diesem
wichtigen Problem zu
versuchen!
Nun noch einige Bemerkungen zu Abrahams Notiz. In
seiner Erwiderung sagt Hr.
Abraham über seine Theorie:
,,Es kann von irgend einer Art von Relativität, d. h.
von einer
Korrespondenz der beiden Systeme, die sich in Gleichungen
zwischen ihren
Raum-Zeit-Parametern x, y, z, t und x', y', z', t'
ausdrücken würde, keine
Rede sein.“ Ich will mir kein Urteil
darüber anmaßen, ob dies Abrahams
ursprüngliche Annahme
war oder nicht. Jedenfalls verliert beim Aufgeben des Rela-
tivitätsprinzips das von Abraham in seiner Theorie als Richt-
schnur benutzte
relativitätstheoretische Schema jegliche über-
zeugende Kraft. Abraham
macht mich ferner darauf auf-
merksam, daß er bereits in seiner Arbeit1) den
Ausdruck
für die Energie des materiellen Punktes im Schwerefeld an-
gegeben hat; ich hatte
dies leider übersehen. Allerdings ist
dies Resultat mit den Grundgleichungen von
Abrahams
Theorie im Widerspruch. Es folgt nämlich aus diesem Aus-
druck für die
Energie, daß die auf einen im Schwerfeld ruhen-
den materiellen Punkt wirkende
Kraft -m grad c sei; dem
widersprechend folgt aber für dieselbe Größe aus den Glei-
chungen (2) und (6) von Abrahams Arbeit der Ausdruck
-mcgradc. Abraham
behauptet ferner, ich hätte seine
Ausdrücke für die Energiedichte und für die
Spannungen im
Schwerefeld benutzt. Dies trifft nicht zu; nach Abraham
ist beispielsweise die Energiedichte im statischen Schwerefeld
grad2 c,
nach meiner Theorie . Das Eingehen
von c ist in beiden Theorien
verschieden.
----------
1) M. Abraham, Physik. Zeitschr. 13. Nr. 19. p. 2. 1912.
(Eingegangen 4. Juli 1912.)
----------