11. Thermodynamische Begründung
des photochemischen
Äquivalentgesetzes;
von A. Einstein.
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Im folgenden wird auf wesentlich thermodynamischem
Wege gleichzeitig das
Wiensche Strahlungsgesetz und das
photochemische Äquivalentgesetz abgeleitet.
Unter dem letz-
teren verstehe ich den Satz, daß es zur Zersetzung eines
Grammäquivalentes durch einen photochemischen Vorgang der
absorbierten
Strahlungsenergie N h bedarf, falls man mit N
die Zahl der Moleküle im
Gramm-Mol, mit h die bekannte
Konstante in Plancks Strahlungsformel, mit die
Frequenz
der wirksamen Strahlung bezeichnet.1) Das Gesetz erscheint
im
wesentlichen als eine konsequenz der Voraussetzung, daß
die Zahl der pro Zeiteinheit
zersetzten Moleküle der Dichte
der wirksamen Strahlung proportional ist; doch
ist hervor-
zuheben, daß die thermodynamischen Zusammenhänge und das
Strahlungsgesetz es nicht gestatten, diese Annahme durch eine
beliebige andere zu
ersetzen, wie am Schlusse der Arbeit kurz
gezeigt wird.
Aus dem Folgenden geht ferner klar hervor, daß das
Äquivalentgesetz bzw. die
zu demselben führenden Annahmen
nur so lange gelten, als die wirksame
Strahlung dem Gültig-
keitsbereiche des Wienschen Gesetzes angehört, Für
solche
Strahlung aber ist nun an der Gültigkeit des Gesetzes kaum
mehr zu
zweifeln.
§ 1. Über das thermodynamische Gleichgewicht
zwischen Strahlung und einem
teilweise dissoziierten Gase vom
Standpunkt des Massenwirkungsgesetzes.
Es sei in einem Volumen V eine Mischung dreier chemisch
verschiedener Gase mit
den Molekulargewichten m1, m2, m3
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1) Vgl. A. Einstein, Ann. d. Phys. 4. (17). p. 132.
vorhanden. n1 sei die Anzahl g-Mole des ersten, n2 die des
zweiten, n3 die des dritten
Gases.1) Zwischen diesen drei
Molekülarten sei eine Reaktion möglich, darin
bestehend, daß
ein Molekül erster Art zerfällt in ein Molekül zweiter und ein
Molekül
dritter Art. Bei thermodynamischem Gleichgewichte
besteht gleiche Häufigkeit der
Reaktionen
und
Wir wollen den Fall ins Auge fassen, daß der Zerfall von
Molekülen m1
ausschließlich durch die Wirkung der Wärme-
strahlung erfolge, und zwar unter der
Wirkung eines Teiles
der Wärmestrahlung, dessen Frequenz sich wenig von einer
gewissen Frequenz 0 unterscheidet. Die bei einem derartigen
Zerfall im Mittel
absorbierte Strahlungsenergie sei . In diesem
Falle muß umgekehrt bei dem Prozeß
der Vereinigung von m2
und m3 zu m1 Strahlung von der Frequenzgegend 0
emittiert
werden, und zwar ausschließlich Strahlung von der Frequenz-
gegend 0,
und es muß die bei einem Wiedervereinigungsprozeß
emittierte Strahlungsenergie im
Mittel ebenfalls gleich sein,
da sonst das Strahlungsgleichgewicht durch die Existenz
des
Gases gestört würde; denn die Zahl der Zerfallprozesse ist
gleich der Zahl der
Vereinigungsprozesse.
Besitzt das Gasgemisch die Temperatur T, so wird thermo-
dynamisches
Gleichgewicht des Systems jedenfalls bestehen
können, wenn die im Raum befindliche
Strahlung in der Um-
gebung der Frequenz 0 diejenige (monochromatische)
Dichte
besitzt, welche zur Wärmestrahlung der Temperatur T gehört.
Wir analysieren nun die beiden einander gerade aufhebenden
Reaktionen
genauer, indem wir über den Mechanismus der-
selben gewisse Annahmen
machen.
Der Zerfall eines Moleküls erster Art geschehe so, wie
wenn die übrigen
Moleküle nicht da wären (Annahme I). Daraus
folgt, daß wir die Zahl der pro
Zeiteinheit zerfallenden Mole-
küle erster Art deren Anzahl (n1) unter sonst
gleichen Um-
ständen proportional, und daß wir die Zahl der pro Zeiteinheit
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1) Natürlich kann eines der Gase mit den Indizes 2 und 3 aus
Elektronen
bestehen.
zerfallenden Moleküle als von den drei Gasdichten unabhängig
anzusetzen haben.
Außerdem nehmen wir an, daß die Wahr-
scheinlichkeit dafür, daß ein Molekül erster
Art in einem Zeit-
teilchen zerfalle, der monochromatischen Strahlungsdichte
proportional sei (Annahme II).
Hauptsächlich von der zweiten dieser Annahmen muß
hervorgehoben werden, daß
ihre Richtigkeit durchaus nicht
selbstverständlich ist. Sie enthält die Aussage, daß
die
chemische Wirkung einer auf einen Körper fallenden Strahlung
nur von
der Gesamtmenge der wirkenden Strahlung abhänge,
aber nicht von der
Bestrahlungsintensität; die Existenz einer
unteren Wirksamkeitsschwelle der
Strahlung wird durch diese
Annahme vollkommen ausgeschlossen. Wir setzen
uns durch
letztere in Widerspruch mit den Ergebnissen zweier Arbeiten
von E. Warburg1), durch die ich die Anregung für die vor-
liegende Arbeit
empfing.
Aus den beiden Annahmen folgt, daß die Zahl Z der pro
Zeiteinheit zerfallenden
Moleküle erster Art gegeben ist durch
den Ausdruck
| (1) |
Der Proportionalitätsfaktor A kann nach dem Gesagten nur
von der Gastemperatur
T abhängen. Nach dem Vorangehenden
gilt die Gleichung auch in dem Falle, daß die
Strahlungs-
dichte (bei der Frequenz 0) eine andere ist, als zur Tem-
peratur T des
Gases gehört.
Von dem Wiedervereinigungsprozeß nehmen wir an, daß
es ein gewöhnlicher
Vorgang zweiter Ordnung im Sinne des
Massenwirkungsgesetzes sei, daß also die
Zahl der pro Volum-
einheit und Zeiteinheit sich bildenden Moleküle erster
Art dem
Produkt der Konzentrationen n2/V und n3/V proportional sei,
wobei der Proportionalitätskoeffizient nur von der Gastemperatur,
aber
nicht von der Dichte der vorhandenen Strahlung abhänge
(Annahme III).
Die Zahl Z' der sich in der Zeiteinheit bildenden
Moleküle erster Art ist
also
| (2) |
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1) E. Warburg, Verh. d. Deutsch. Physik. Ges. 9. p. 24. 1908 und
9. p. 21. 1909.
Das von uns betrachtete, aus Strahlung und Gasgemisch
bestehende System
befindet sich stets im thermodynamischen
Gleichgewicht, wenn die Zahl Z
der Zerfallsprozesse gleich
ist der Zahl Z' der Vereinigungsprozesse; denn
es bleibt in
diesem Falle nicht nur die Menge einer jeden Gasart, sondern
auch die Menge der vorhandenen Strahlung ungeändert.1) Diese
Bedingung
lautet
| (3) |
wobei A und A' nur von der Temperatur der Gasmischung
abhängen. Eine
eigentümliche Konsequenz dieser Betrachtung
ist die, daß bei gegebener
Gastemperatur und beliebig ge-
gebener Strahlungsdichte (d. h. auch
Strahlungstemperatur) ein
thermodynamisches Gleichgewicht möglich sein soll.
Es liegt
aber hierin kein Verstoß gegen den zweiten Hauptsatz, was
damit
zusammenhängt, daß mit einem Wärmeübergang von
der Strahlung zum Gase ein
bestimmter chemischer Prozeß
zwangläufig verbunden ist; man kann mit Hilfe
des von uns
betrachteten Systems kein Perpetuum mobile zweiter Art kon-
struieren.
§ 2. Thermodynamische Gleichgewichtsbedingung für das im § 1
betrachtete
System.
Ist Ss die Entropie der im Volumen V enthaltenen Strahlung,
Sg diejenige
des Gasgemisches, so muß für jeden der im vorigen
Paragraph gefundenen
Gleichgewichtszustände die Bedingung
bestehen, daß für jede unendlich
kleine virtuelle Änderung der
Zustände von Strahlung und Gas die Änderung
der Gesamt-
entropie verschwindet. Die zu betrachtende virtuelle Änderung
besteht darin, daß die Energiemenge N (aus der Umgebung
von 0) der
Strahlung in Energie des Gasgemisches übergeht
unter gleichzeitigem Zerfall eines
Gasmoleküls (g-Mol) erster
Art. Bei einer solchen virtuellen Änderung würde
sich die
Temperatur des Gemisches um einen nicht zu vernachlässigenden
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1) Beim Lesen der Korrektur bemerke ich, daß dieser für das
Folgende wesentliche
Schluß nur unter der Voraussetzung gilt, daß bei
gegebener Gastemperatur von
unabhängig ist.
Betrag verändern. Um dies zu vermeiden, denken wir uns in
bekannter Weise das
Gasgemisch mit einem unendlich großen
Wärmereservoir von derselben Temperatur
T in dauernder
wärmeleitender Verbindung. Bei der virtuellen Änderung ändert
sich
dann die Temperatur des Gasgemisches nicht; dagegen
ist zu berücksichtigen, daß das
Wärmereservoir die Energie
- bei der virtuellen Änderung in Form
von Wärme
aufnimmt, falls man mit Es die Energie der Strahlung, mit
Eg diejenige des Gases bezeichnet. Die Gleichgewichtsbedin-
gung lautet
deshalb
| (4) |
Wir haben nun die einzelnen Glieder dieser Gleichung zu
berechnen. Es ist zunächst
für die von uns betrachtete virtuelle
Anderung
wenn man mit Ts die zur Strahlungsdichte gehörige Tem-
peratur bezeichnet. Die
auf das Gas bezüglichen Variationen
berechnen wir nach in der Thermodynamik
geläufigen Methoden,
wobei wir -- was für das Folgende nicht wesentlich ist --
die
spezifischen Wärmen als von der Temperatur unabhängig
behandeln. Man erhält
zunächst
Dabei bedeutet
c1 die Wärmekapazität pro g-Mol bei konstantem Volum,
b1 die Energie pro g-Mol der 1. Gasart bei T = 0,
c1 eine Integrationskonstante der Entropie der ersten Gasart.
Aus diesen Gleichungen folgen unmittelbar die folgenden
wobei
| (4a') |
zu setzen ist. Gleichung (4) nimmt vermöge dieser Gleichungen
für die Variationen
und der Gleichung (3) die Form an
wobei zur Abkürzung gesetzt ist
| (4a'') |
Die mit bezeichnete Größe ist von Ts unabhängig.
§ 3. Schlußfolgerungen aus der Gleichgewichtsbedingung.
Wir schreiben nun (4a) in der Form
| (4b) |
Da die Beziehung zwischen Ts und unabhängig sein muß
von T, müssen die
Größen A'/A und von T unabhängig
sein. Da diese Größen auch von Ts
unabhängig sind, so sind
wir damit zu demjenigen Zusammenhang zwischen und
Ts
gelangt, der der Wienschen Strahlungsformel entspricht. Wir
schließen
hieraus:
Die im §1 zugrunde gelegten Annahmen über den Verlauf
photochemischer
Vorgänge sind mit dem empirisch bekannten
Gesetze der Wärmestrahlung nur
vereinbar, insofern die wirkende
Strahlung in den Gültigkeitsbereich des Wienschen
Strahlungs-
gesetzes fällt; in diesem Falle aber ist Wiens Gesetz eine Kon-
sequenz
unserer Annahmen.
Schreiben wir Wiens Strahlungsformel unter Einführung
der Planckschen
Konstanten in der Form
so sehen wir durch Vergleichung mit (4b), daß die Gleichungen
| (5) |
| (6) |
erfülit sein müssen. Als wichtigste Konsequenz folgt also (5),
da ein Gasmolekül,
welches unter Absorption von Strahlung von
der Frequenz 0 zerfällt, bei seinem Zerfall (im Mittel) die
Strahlungsenergie h 0
absorbiert. Wir haben die einfachste
Art der Reaktion vorausgesetzt, hätten aber
Gleichung (5) auf
demselben Wege wie hier auch für andere unter Lichtabsorption
vor
sich gehende Gasreaktionen ableiten können. Ebenso liegt
es auf der Hand, daß die
Beziehung in ähnlicher Weise für
verdünnte Lösungen bewiesen werden kann. Sie
dürfte wohl
allgemein gültig sein.
Wir ersetzen ferner mit Hilfe von (6) in (4a'') die Größe ,
so erhalten wir mit
Berücksichtigung von (3), indem wir zur
Abkürzung 2 3 1 = z setzen und Wiens
Strahlungsgesetz
anwenden
Diese Gleichung geht für T = Ts in die bekannte Gleichung
für das
Dissoziationsgleichgewicht für Gase über, ein Beweis
dafür, daß die vorstehende
Theorie mit der thermodynamischen
Theorie der Dissoziation nicht in Widerspruch
gerät.
Prag, Januar 1912.
(Eingegangen 18. Januar 1912.)
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