5.Über die von der molekularkinetischen Theorie
der Wärme geforderte Bewegung von in ruhenden
Flüssigkeiten suspendierten Teilchen;
von A. Einstein.

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In dieser Arbeit soll gezeigt werden, daß nach der molekular-
kinetischen Theorie der Wärme in Flüssigkeiten suspendierte
Körper von mikroskopisch sichtbarer Größe infolge der Mole-
kularbewegung der Wärme Bewegungen von solcher Größe
ausführen müssen, daß diese Bewegungen leicht mit dem
Mikroskop nachgewiesen werden können. Es ist möglich, daß
die hier zu behandelnden Bewegungen mit der sogenannten
,,Brown schen Molekularbewegung“ identisch sind; die mir
erreichbaren Angaben über letztere sind jedoch so ungenau,
daß ich mir hierüber kein Urteil bilden konnte.

Wenn sich die hier zu behandelnde Bewegung samt den
für sie zu erwartenden Gesetzmäßigkeiten wirklich beobachten
läßt, so ist die klassische Thermodynamik schon für mikro-
skopisch unterscheidbare Räume nicht mehr als genau gültig
anzusehen und es ist dann eine exakte Bestimmung der wahren
Atomgröße möglich. Erwiese sich umgekehrt die Voraussage
dieser Bewegung als unzutreffend, so wäre damit ein schwer-
wiegendes Argument gegen die molekularkinetische Auffassung
der Wärme gegeben.

§ 1. Über den suspendierten Teilchen zuzuschreibenden
osmotischen Druck.

Im Teilvolumen V * einer Flüssigkeit vom Gesamtvolumen V
seien z-Gramm - Moleküle eines Nichtelektrolyten gelöst. Ist
das Volumen V * durch eine für das Lösungsmittel, nicht aber
für die gelöste Substanz durchlässige Wand vom reinen Lösungs-

mittel getrennt, so wirkt auf diese Wand der sogenannte os-
motische Druck, welcher bei genügend großen Werten von V */z
der Gleichung genügt:

p V * = R T z .

Sind hingegen statt der gelösten Substanz in dem Teil-
volumen V * der Flüssigkeit kleine suspendierte Körper vor-
handen, welche ebenfalls nicht durch die für das Lösungs-
mittel durchlässige Wand hindurchtreten können, so hat man
nach der klassischen Theorie der Thermodynamik -- wenigstens
bei Vernachlässigung der uns hier nicht interessierenden Schwer-
kraft -- nicht zu erwarten, daß auf die Wand eine Kraft
wirke; denn die ,,freie Energie“ des Systems scheint nach der
üblichen Auffassung nicht von der Lage der Wand und der
suspendierten Körper abzuhängen, sondern nur von den Ge-
samtmassen und Qualitäten der suspendierten Substanz, der
Flüssigkeit und der Wand, sowie von Druck und Temperatur.
Es kämen allerdings für die Berechnung der freien Energie
noch Energie und Entropie der Grenzflächen in Betracht
(Kapillarkräfte); hiervon können wir jedoch absehen, indem
bei den ins Auge zu fassenden Lagenänderungen der Wand
und der suspendierten Körper Änderungen der Größe und
Beschaffenheit der Berührungsflächen nicht eintreten mögen.

Vom Standpunkte der molekularkinetischen Wärmetheorie
aus kommt man aber zu einer anderen Auffassung. Nach
dieser Theorie unterscheidet sich eingelöstes Molekül von einem
suspendierten Körper lediglich durch die Größe, und man sieht
nicht ein, warum einer Anzahl suspendierter Körper nicht der-
selbe osmotische Druck entsprechen sollte, wie der nämlichen
Anzahl gelöster Moleküle. Man wird anzunehmen haben, daß
die suspendierten Körper infolge der Molekularbewegung der
Flüssigkeit eine wenn auch sehr langsame ungeordnete Be-
wegung in der Flüssigkeit ausführen; werden sie durch die
Wand verhindert, das Volumen V * zu verlassen, so werden sie
auf die Wand Kräfte ausüben, ebenso wie gelöste Moleküle.
Sind also n suspendierte Körper im Volumen V *, also n/V * = n
in der Volumeneinheit vorhanden, und sind benachbarte unter
ihnen genügend weit voneinander entfernt, so wird ihnen ein
osmotischer Druck p entsprechen von der Größe:

    R  T n    R  T
p = -V-*-N--= -N---.n ,

wobei N die Anzahl der in einem Gramm-Molekül enthaltenen
wirklichen Moleküle bedeutet. Im nächsten Paragraph soll
gezeigt werden, daß die molekularkinetische Theorie der Wärme
wirklich zu dieser erweiterten Auffassung des osmotischen
Druckes führt.

§ 2. Der osmotische Druck vom Standpunkte der molekular-
kinetischen Theorie der Wärme.1)

Sind p1 p2...pl Zustandsvariable eines physikalischen
Systems, welche den momentanen Zustand desselben voll-
kommen bestimmen (z. B. die Koordinaten und Geschwindig-
keitskomponenten aller Atome des Systems) und ist das voll-
ständige System der Veränderungsgleichungen dieser Zustands-
variabeln von der Form

@ pn
@ t =  fn (p1 ...pl)(n = 1, 2 ...l)

gegeben, wobei  sum @ fn
@-p--
   n = 0, so ist die Entropie des Systems
durch den Ausdruck gegeben:

                 integral 
     E-             ---E--
S =  T  + 2 x lg   e 2x  T d p1... d pl.

Hierbei bedeutet T die absolute Temperatur, E die Energie
des Systems, E die Energie als Funktion der pn. Das Inte-
gral ist über alle mit den Bedingungen des Problems ver-
einbaren Wertekombinationen der pn. zu erstrecken. x ist mit
der oben erwähnten Konstanten N durch die Relation 2 x N = R
verbunden. Für die freie Energie F erhalten wir daher:

               integral 
       R         - EN-                R T
F = - N--T lg   e  RT d p1... dpl = - -N---lg  B .

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1) In diesem Paragraph sind die Arbeiten des Verfassers über die
Grundlagen der Thermodynamik als bekannt vorausgesetzt (vgl. Ann. d.
Phys. 9. p. 417. 1902; 11. p. 170. 1903). Für das Verständnis der
Resultate der vorliegenden Arbeit ist die Kenntnis jener Arbeiten sowie
dieses Paragraphen der vorliegenden Arbeit entbehrlich.

Wir denken uns nun eine in dem Volumen V eingeschlossene
Flüssigkeit; in dem Teilvolumen V * von V mögen sich n ge-
löste Moleküle bez. suspendierte Körper befinden, welche im
Volumen V * durch eine semipermeabele Wand festgehalten
seien; es werden hierdurch die Integrationsgrenzen des in den
Ausdrücken für S und F auftretenden Integrales B beeinflußt.
Das Gesamtvolumen der gelösten Moleküle bez. suspendierten
Körper sei klein gegen V *. Dies System werde im Sinne der
erwähnten Theorie durch die Zustandsvariabeln p1 ...pl voll-
ständig dargestellt.

Wäre nun auch das molekulare Bild bis in alle Einzel-
heiten festgelegt, so böte doch die Ausrechnung des Integrales B
solche Schwierigkeiten, daß an eine exakte Berechnung von F
kaum gedacht werden könnte. Wir brauchen jedoch hier nur
zu wissen, wie F von der Größe des Volumens V * abhängt,
in welchem alle gelösten Moleküle bez. suspendierten Körper
(im folgenden kurz ,,Teilchen“ genannt) enthalten sind.

Wir nennen x1, y1, z1 die rechtwinkligen Koordinaten des
Schwerpunktes des ersten Teilchens, x2, y2, z2 die des zweiten etc.,
xn, yn, zn, die des letzten Teilchens und geben für die Schwer-
punkte der Teilchen die unendlich kleinen parallelepiped-
förmigen Gebiete dx1 dy1 dz1, dx2 dy2 dz2 ... dxn dyn dzn,
welche alle in V * gelegen seien. Gesucht sei der Wert des
im Ausdruck für F auftretenden Integrales mit der Beschränkung,
daß die Teilchenschwerpunkte in den ihnen soeben zugewiesenen
Gebieten liegen. Dies Integral läßt sich jedenfalls auf die Form

d B =  dx1 d y1 ... d zn.J

bringen, wobei J von dx1 dy1 etc., sowie von V *, d. h. von
der Lage der semipermeabeln Wand, unabhängig ist. J ist
aber auch unabhängig von der speziellen Wahl der Lagen der
Schwerpunktsgebiete und von dem Werte von V *, wie sogleich
gezeigt werden soll. Sei nämlich ein zweites System von un-
endlich kleinen Gebieten für die Teilchenschwerpunkte gegeben
und bezeichnet durch dx'1 dy'1 dz'2, dx'2 dy'2 dz'2 ... dx'n dy'n dz'n,
welche Gebiete sich von den ursprünglich gegebenen nur durch
ihre Lage, nicht aber durch ihre Größe unterscheiden mögen
und ebenfalls alle in V * enthalten seien, so gilt analog:

d B'=  d x'1d y'1 ... dz'n .J',

wobei

dx1 d y1 ... d zn = d x'1 dy'1 ... dz'n .

Es ist also:

d B    J
---'=  --'.
dB     J

Aus der in den zitierten Arbeiten gegebenen molekularen
Theorie der Wärme läßt sich aber leicht folgern1), daß dB/B
bez. dB'/B gleich ist der Wahrscheinlichkeit dafür, daß sich
in einem beliebig herausgegriffenen Zeitpunkte die Teilchen-
schwerpunkte in den Gebieten (dx1 ...dzn) bez. in den Ge-
bieten (dx'1 ...dz'n) befinden. Sind nun die Bewegungen der
einzelnen Teilchen (mit genügender Annäherung) voneinander
unabhängig, ist die Flüssigkeit homogen und wirken auf die
Teilchen keine Kräfte, so müssen bei gleicher Größe der Ge-
biete die den beiden Gebietssystemen zukommenden Wahr-
scheinlichkeiten einander gleich sein, so daß gilt:

          '
d-B-=  d-B-.
 B      B

Aus dieser und aus der zuletzt gefundenen Gleichung folgt aber

J =  J'.

Es ist somit erwiesen, daß J weder von V * noch von
x 1, y1...zn abhängig ist. Durch Integration erhält man

      integral 
B  =   J dx1 ...dzn = J V *n

und daraus

F =  - R-T-{lgJ +  n lg V *}
        N

und

      @-F--   R-T-n--   R-T-
p = - @ V * = V * N  =  N   n .

Durch diese Betrachtung ist gezeigt, daß die Existenz
des osmotischen Druckes eine Konsequenz der molekular-
kinetischen Theorie der Wärme ist, und daß nach dieser Theorie
gelöste Moleküle und suspendierte Körper von gleicher Anzahl
sich in bezug auf osmotischen Druck bei großer Verdünnung
vollkommen gleich verhalten.

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1) A. Einstein, Ann. d. Phys. 11. p. 170. 1903.

§ 3. Theorie der Diffusion kleiner suspendierter Kugeln.

In einer Flüssigkeit seien suspendierte Teilchen regellos
verteilt. Wir wollen den dynamischen Gleichgewichtszustand
derselben untersuchen unter der Voraussetzung, daß auf die
einzelnen Teilchen eine Kraft K wirkt, welche vom Orte,
nicht aber von der Zeit abhängt. Der Einfachheit halber
werde angenommen, daß die Kraft überall die Richtung der
X-Achse habe.

Es sei n die Anzahl der suspendierten Teilchen pro
Volumeneinheit, so ist im Falle des thermodynamischen Gleich-
gewichtes n eine solche Funktion von x, daß für eine beliebige
virtuelle Verrückung d x der suspendierten Substanz die Variation
der freien Energie verschwindet. Man hat also:

d F = d E - T dS =  0.

Es werde angenommen, daß die Flüssigkeit senkrecht zur
X-Achse den Querschnitt 1 habe und durch die Ebenen x = 0
und x = l begrenzt sei. Man hat dann:

          integral  l
d E =  -    K n dx dx

        0

und

        integral  l n @ d x        R   integral  l@ n
d S =    R --------dx =  - ---   --- dx dx .
           N  @ x          N     @ x
      0                      0

Die gesuchte Gleichgewichtsbedingung ist also:

- K n + R-T- @-n = 0
         N   @ x
(1)

oder

K  n - @-p = 0 .
       @ x

Die letzte Gleichung sagt aus, daß der Kraft K durch osmo-
tische Druckkräfte das Gleichgewicht geleistet wird.

Die Gleichung (1) benutzen wir, um den Diffusionskoeffi-
zienten der suspendierten Substanz zu ermitteln. Wir können
den eben betrachteten dynamischen Gleichgewichtszustand als

die Superposition zweier in umgekehrtem Sinne verlaufender
Prozesse auffassen, nämlich

1. einer Bewegung der suspendierten Substanz unter der
Wirkung der auf jedes einzelne suspendierte Teilchen wirken-
den Kraft K,

2. eines Diffusionsvorganges, welcher als Folge der un-
geordneten Bewegungen der Teilchen infolge der Molekular-
bewegung der Wärme aufzufassen ist.

Haben die suspendierten Teilchen Kugelform (Kugelradius P)
und besitzt die Flüssigkeit den Reibungskoeffizienten k, so
erteilt die Kraft K dem einzelnen Teilchen die Geschwindigkeit1)

--K----
6 pk P ,

und es treten durch die Querschnittseinheit pro Zeiteinheit

-n-K---
6p k P

Teilchen hindurch.

Bezeichnet ferner D den Diffusionskoeffizienten der sus-
pendierten Substanz und m die Masse eines Teilchens, so treten
pro Zeiteinheit infolge der Diffusion

     @ (m n)
- D  ------- Gramm
      @ x

oder

- D  @ n
     @ x

Teilchen durch die Querschnittseinheit. Da dynamisches Gleich-
gewicht herrschen soll, so muß sein:

 n K        @ n
-------- D  --- = 0 .
6p k P      @ x
(2)

Aus den beiden für das dynamische Gleichgewicht ge-
fundenen Bedingungen (1) und (2) kann man den Diffusions-
koeffizienten berechnen. Man erhält:

     R-T- --1----
D  =  N   6p kP  .

Der Diffusionskoeffizient der suspendierten Substanz hängt also
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1) Vgl. z. B. G. Kirchhoff, Vorlesungen über Mechanik, 26. Vor-
lesung § 4.

außer von universellen Konstanten und der absoluten Tem-
peratur nur vom Reibungskoeffizienten der Flüssigkeit und von
der Größe der suspendierten Teilchen ab.

§ 4. Über die ungeordnete Bewegung von in einer Flüssigkeit
suspendierten Teilchen und deren Beziehung zur Diffusion.

Wir gehen nun dazu über, die ungeordneten Bewegungen
genauer zu untersuchen, welche, von der Molekularbewegung
der Wärme hervorgerufen, Anlaß zu der im letzten Para-
graphen untersuchten Diffusion geben.

Es muß offenbar angenommen werden, daß jedes einzelne
Teilchen eine Bewegung ausführe, welche unabhängig ist von
der Bewegung aller anderen Teilchen; es werden auch die
Bewegungen eines und desselben Teilchens in verschiedenen
Zeitintervallen als voneinander unabhängige Vorgänge aufzu-
fassen sein, solange wir diese Zeitintervalle nicht zu klein ge-
wählt denken.

Wir führen ein Zeitintervall t in die Betrachtung ein,
welches sehr klein sei gegen die beobachtbaren Zeitintervalle,
aber doch so groß, daß die in zwei aufeinanderfolgenden Zeit-
intervallen t von einem Teilchen ausgeführten Bewegungen als
voneinander unabhängige Ereignisse aufzufassen sind.

Seien nun in einer Flüssigkeit im ganzen n suspendierte
Teilchen vorhanden. In einem Zeitintervall t werden sich die
X-Koordinaten der einzelnen Teilchen um D vergrößern, wobei
D für jedes Teilchen einen anderen (positiven oder negativen)
Wert hat. Es wird für D ein gewisses Häufigkeitsgesetz gelten;
die Anzahl d n der Teilchen, welche in dem Zeitintervall t
eine Verschiebung erfahren, welche zwischen D und D + d D
liegt, wird durch eine Gleichung von der Form

dn = n f (D) d D

ausdrückbar sein, wobei

  integral +o o 

    f (D) d D =  1
- oo

und f nur für sehr kleine Werte von D von Null verschieden
ist und die Bedingung

f (D) =  f(- D )

erfüllt.

Wir untersuchen nun, wie der Diffusionskoeffizient von f
abhängt, wobei wir uns wieder auf den Fall beschränken, daß
die Anzahl n der Teilchen pro Volumeneinheit nur von x und t
abhängt.

Es sei n = f(x, t) die Anzahl der Teilchen pro Volumen-
einheit, wir berechnen die Verteilung der Teilchen zur Zeit
t + t aus deren Verteilung zur Zeit t. Aus der Definition
der Funktion f (D) ergibt sich leicht die Anzahl der Teilchen,
welche sich zur Zeit t + t zwischen zwei zur X-Achse senk-
rechten Ebenen mit den Abszissen x und x + dx befinden.
Man erhält:

                      D=+ oo 
                       integral 
f (x, t + t) dx = d x .  f (x + D)  f(D) d D .
                  D= - oo

Nun können wir aber, da t sehr klein ist, setzen:

f(x, t + t ) = f (x, t) + t@-f-.
                        @ t

Ferner entwickeln wir f(x + D, t) nach Potenzen von D:

                           @ f (x,t)  D2  @2f (x,  t)
f (x +  D, t) = f(x, t) + D --------+  ---------2---  ... in inf.
                             @ x      2!    @ x

Diese Entwicklung können wir unter dem Integral vornehmen,
da zu letzterem nur sehr kleine Werte von D etwas beitragen.
Wir erhalten:

                  integral +o o              integral +o o 
    @ f                         @ f
f + ----.t = f  .  f (D) d D +  ----  D f (D)  dD
     @ t        - oo              @ x- oo 
                                         + oo 
                                   @2f  integral  D 2
                                +  ---2   ----f (D) d D  ...
                                   @ x- oo   2

Auf der rechten Seite verschwindet wegen f (x) = f (-x) das
zweite, vierte etc. Glied, während von dem ersten, dritten,
fünften etc. Gliede jedes folgende gegen das vorhergehende
sehr klein ist. Wir erhalten aus dieser Gleichung, indem wir
berücksichtigen, daß

  integral  + oo 

    f (D) dD  = 1 ,
- oo

und indem wir

    integral + oo  2
1-    D-- f (D)  dD  = D
t      2
  - oo

setzen und nur das erste und dritte Glied der rechten Seite
berücksichtigen:

          2
@ f-= D  @-f- .
@ t      @ x2
(1)

Dies ist die bekannte Differentialgleichung der Diffusion,
und man erkennt, daß D der Diffusionskoeffizient ist.

An diese Entwicklung läßt sich noch eine wichtige Über-
legung anknüpfen. Wir haben angenommen, daß die einzelnen
Teilchen alle auf dasselbe Koordinatensystem bezogen seien.
Dies ist jedoch nicht nötig, da die Bewegungen der einzelnen
Teilchen voneinander unabhängig sind. Wir wollen nun die
Bewegung jedes Teilchens auf ein Koordinatensystem beziehen,
dessen Ursprung mit der Lage des Schwerpunktes des be-
treffenden Teilchens zur Zeit t = 0 zusammenfällt, mit dem
Unterschiede, daß jetzt f (x, t) dx die Anzahl der Teilchen be-
deutet, deren X-Koordinaten von der Zeit t = 0 bis zur Zeit
t = t um eine Größe gewachsen ist, welche zwischen x und
x + dx liegt. Auch in diesem Falle ändert sich also die
Funktion f gemäß Gleichung (1). Ferner muß offenbar für
x >< 0 und t = 0

                   integral  + oo 

f(x,t) = 0  und      f(x,t)d x = n
                -  oo

sein. Das Problem, welches mit dem Problem der Diffusion
von einem Punkte aus (unter Vernachlässigung der Wechsel-
wirkung der diffundierenden Teilchen) übereinstimmt, ist nun
mathematisch vollkommen bestimmt; seine Lösung ist:

                    x2-
         ---n----e--4Dt
f(x,t) =  V~ ------   V~ t  .
           4 pD

Die Häufigkeitsverteilung der in einer beliebigen Zeit t
erfolgten Lagenänderungen ist also dieselbe wie die der zu-

fälligen Fehler, was zu vermuten war. Von Bedeutung aber
ist, wie die Konstante im Exponenten mit dem Diffusions-
koeffizienten zusammenhängt. Wir berechnen nun mit Hilfe
dieser Gleichung die Verrückung cx in Richtung der X-Achse,
welche ein Teilchen im Mittel erfäbrt, oder -- genauer aus-
gedrückt -- die Wurzel aus dem arithmetischen Mittel der
Quadrate der Verrückungen in Richtung der X-Achse; es ist:

      V~ ---   V~ -----
cx =   x2 =   2 D t .

Die mittlere Verschiebung ist also proportional der Qua-
dratwurzel aus der Zeit. Man kann leicht zeigen, daß die
Wurzel aus dem Mittelwert der Quadrate der Gesamtverschic-
bungen der Teilchen den Wert cx V~ 3 besitzt.

§ 5. Formel für die mittlere Verschiebung suspendierter Teilchen.
Eine neue Methode zur Bestimmung der wahren Größe der Atome.

In § 3 haben wir für den Diffusionskoeffizienten D eines
in einer Flüssigkeit in Form von kleinen Kugeln vom Radius P
suspendierten Stoffes den Wert gefunden:

      R T    1
D  =  -----------.
      N   6p k P

Ferner fanden wir in § 4 für den Mittelwert der Verschie-
bungen der Teilchen in Richtung der X-Achse in der Zeit t:

       V~ -----
cx =    2D t .

Durch Eliminieren von D erhalten wir:

          V~ ------------
      V~ -    R T    1
cx =   t.   -----------.
            N   3p k P

Diese Gleichung läßt erkennen, wie cx von T, k und P ab-
hängen muß.

Wir wollen berechnen, wie groß cx für eine Sekunde ist,
wenn N gemäß den Resultaten der kinetischen Gastheorie
6.1023 gesetzt wird; es sei als Flüssigkeit Wasser von 170 C.
gewählt (k = 1, 35 . 10-2) und der Teilchendurchmesser sei
0,001 mm. Man erhält:

cx =  8.10- 5 cm  = 0,8 Mikron.

Die mittlere Verschiebung in 1 Min. wäre also ca. 6 Mikron.

Umgekehrt läßt sich die gefundene Beziehung zur Be-
stimmung von N benutzen. Man erhält:

      t     R T
N =  --2-.------- .
     cx   3 p kP

Möge es bald einem Forscher gelingen, die hier auf-
geworfene, für die Theorie der Wärme wichtige Frage zu ent-
scheiden!

Bern, Mai 1905.

(Eingegangen 11. Mai 1905.)

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