12. Über die vom Relativitätsprinzip geforderte
Trägheit der Energie;
von A. Einstein.
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Das Relativitätsprinzip führt in Verbindung mit den
Maxwellschen
Gleichungen zu der Folgerung, daß die Träg-
heit eines Körpers mit dessen
Energieinhalt in ganz bestimmter
Weise wachse bez. abnehme. Betrachtet
man nämlich einen
Körper, der gleichzeitig nach zwei entgegengesetzten
Richtungen
eine bestimmte Strahlungsenergie aussendet, und untersucht
man diesen Vorgang von zwei relativ zueinander gleichförmig
bewegten
Koordinatensystemen aus1), von denen das eine
relativ zu dem Körper ruht,
und wendet man auf den Vor-
gang -- von beiden Koordinatensystemen
aus -- das Energie-
prinzip an, so gelangt man zu dem Resultat, daß
einem
Energiezuwachs E des betrachteten Körpers stets ein Massen-
zuwachs E/V 2 entsprechen müsse, wobei V die Lichtgeschwin-
digkeit
bedeutet.
Der Umstand, daß der dort behandelte spezielle Fall eine
Annahme von so
außerordentlicher Allgemeinheit (über die Ab-
hängigkeit der Trägheit von der
Energie) notwendig macht,
fordert dazu auf, in allgemeinerer Weise die
Notwendigkeit
bez. Berechtigung der genannten Annahme zu prüfen. Ins-
besondere erhebt sich die Frage: Führen nicht andere spezielle
Fälle zu mit der
genannten Annahme unvereinbaren Folge-
rungen? Einen ersten Schritt in dieser
Hinsicht habe ich
letztes Jahr unternommen2), indem ich zeigte, daß jene An-
nahme den Widerspruch der Elektrodynamik mit dem Prinzip
von der Konstanz
der Schwerpunktsbewegung (mindestens was
die Glieder erster Ordnung
anbelangt) aufhebt.
Die allgemeine Beantwortung der aufgeworfenen Frage ist
darum vorläufig
nicht möglich, weil wir ein vollständiges, dem
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1) A. Einstein, Ann. d. Phys. 18. p. 639. 1905.
2) A. Einstein, Ann. d. Phys. 20. p. 627. 1906.
Relativitätsprinzip entsprechendes Weltbild einstweilen nicht
besitzen. Wir
müssen uns vielmehr auf die speziellen Fälle
beschränken, welche wir ohne
Willkür vom Standpunkt der
Relativitätselektrodynamik gegenwärtig behandeln
können. Zwei
solche Fälle werden wir im folgenden betrachten; bei dem
ersten
derselben besteht das System, dessen träge Masse unter-
sucht werden soll, in
einem starren, starr elektrisierten Körper,
bei dem zweiten Fall aus einer Anzahl
gleichförmig bewegter
Massenpunkte, welche aufeinander keine Kräfte
ausüben.
Bevor ich mit der Untersuchung beginne, muß ich hier
noch eine Bemerkung
über den mutmaßlichen Gültigkeitsbereich
der Maxwellschen Gleichungen für
den leeren Raum ein-
schieben, um einem naheliegenden Einwand zu
begegnen. In
früheren Arbeiten habe ich gezeigt, daß unser heutiges elektro-
mechanisches Weltbild nicht geeignet ist, die Entropieeigen-
schaften der
Strahlung sowie die Gesetzmäßigkeiten der
Emission und Absorption der
Strahlung und die der spezifischen
Wärme zu erklären; es ist vielmehr nach
meiner Meinung
nötig anzunehmen, daß die Beschaffenheit eines jeglichen
periodischen Prozesses eine derartige ist, daß eine Umsetzung
der Energie nur in
bestimmten Quanten von endlicher Größe
(Lichtquanten) vor sich gehen kann,
daß also die Mannigfaltig-
keit der in Wirklichkeit möglichen Prozesse
eine kleinere ist
als die Mannigfaltigkeit der im Sinne unserer heutigen
theore-
tischen Anschauungen möglichen Prozesse.1) Einen Strahlungs-
vorgang im besonderen hätten wir uns so zu denken, daß der
momentane
elektromagnetische Zustand in einem Raumteile
durch eine endliche Zahl von
Größen vollständig bestimmt
sei -- im Gegensatze zur Vektorentheorie der
Strahlung. So-
lange wir jedoch nicht im Besitz eines Bildes sind, welches
den genannten Forderungen entspricht, werden wir uns natur-
gemäß in
allen Fragen, welche nicht Entropieverhältnisse
sowie Umwandlungen
elementar kleiner Energiemengen be-
treffen, der gegenwärtigen Theorie
bedienen, ohne fürchten zu
müssen, dadurch zu unrichtigen Resultaten zu
gelangen. Wie
ich mir die heutige Sachlage in diesen Fragen denke, kann
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1) A. Einstein, Ann. d. Phys. 17. p. 132. 1905; 20. p. 199. 1906
und 22. p.
180. 1907.
ich am anschaulichsten durch folgenden fingierten Fall illu-
strieren.
Man denke sich, daß die molekularkinetische Theorie der
Wärme noch nicht
aufgestellt, daß aber mit voller Sicherheit
nachgewiesen sei, daß die Brownsche
Bewegung (Bewegung
von in Flüssigkeiten suspendierten Teilchen) nicht auf
äußerer
Energiezufuhr beruhe, sondern daß klar erkannt sei, daß jene
Bewegungen mit Hilfe der Mecbanik und Thermodynamik nicht
erklärt
werden können. Man würde bei dieser Sachlage mit
Recht zu dem Schlusse
geführt, daß eine tiefgreifende Ände-
rung der theoretischen Grundlagen
Platz greifen müsse. Trotz-
dem würde sich aber niemand scheuen, bei
Behandlung aller
Fragen, welche sich nicht auf Momentanzustände in
kleinen
Raumteilen beziehen, die Grundgleichungen der Mechanik und
Thermodynamik anzuwenden. In diesem Sinne können wir
nach meiner Meinung
mit Zuversicht unsere Betrachtungen
auf die Maxwellschen Gleichungen
stützen.
Es scheint mir in der Natur der Sache zu liegen, daß
das Nachfolgende zum
Teil bereits von anderen Autoren klar-
gestellt sein dürfte. Mit Rücksicht darauf
jedoch, daß hier
die betreffenden Fragen von einem neuen Gesichtspunkt
aus
behandelt sind, glaubte ich, von einer für mich sehr umständ-
lichen
Durchmusterung der Literatur absehen zu dürfen, zumal
zu hoffen ist, daß diese
Lücke von anderen Autoren noch aus-
gefüllt werden wird, wie dies in
dankenswerter Weise bei
meiner ersten Arbeit über das Relativitätsprinzip durch
Hrn.
Planck und Hrn. Kaufmann bereits geschehen ist.
§ 1. Über die kinetische Energie eines in gleichförmiger
Translation
begriffenen, äußeren Kräften unterworfenen starren
Körpers.
Wir betrachten einen in gleichförmiger Translations-
bewegung (Geschwindigkeit
v) in Richtung der wachsenden
x-Koordinate eines ruhend gedachten
Koordinatensystems (x,y,z)
befindlichen starren Körper. Wirken äußere Kräfte
nicht auf
ihn, so ist nach der Relativitätstheorie seine kinetische Energie K0
gegeben durch die Gleichung1)
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1) A. Einstein, Ann. d. Phys. 17. p. 917 ff. 1905.
wobei seine Masse (im gewöhnlichen Sinne) und V die Licht-
geschwindigkeit im
Vakuum bedeutet. Wir wollen nun zeigen,
daß nach der Relativitätstheorie dieser
Ausdruck nicht mehr
gilt, falls äußere Kräfte auf den Körper wirken, welche
einander das Gleichgewicht halten. Um den Fall behandeln
zu können, müssen wir
voraussetzen, daß jene Kräfte elektro-
dynamische seien. Wir denken uns daher
den Körper starr
elektrisiert (mit kontinuierlich verteilter Elektrizität),
und es
wirke auf ihn ein elektromagnetisches Kraftfeld. Die elek-
trische
Dichte denken wir uns allenthalben als sehr gering
und das Kraftfeld als
intensiv, derart, daß die den Wechsel-
wirkungen zwischen den elektrischen
Massen des Körpers ent-
sprechenden Kräfte gegenüber den vom äußeren
Kraftfelde
auf die elektrischen Ladungen des Körpers ausgeübten Kräfte
vernachlässigt werden können.1) Die von dem Kraftfeld auf
den Körper zwischen
den Zeiten t0 und t1 übertragene
Energie E ist gegeben durch den
Ausdruck:
wobei das Raumintegral über den Körper zu erstrecken und
gesetzt ist. Diesen Ausdruck transformieren wir nach den in
der oben zitierten
Abhandlung angegebenen Transformations-
gleichungen2) auf dasjenige
Ort-Zeitsystem (, , , ), welches
einem relativ zu dem Körper ruhenden, zu
(x,y,z) parallel-
achsigen Koordinatensystem entspricht. Man erhält so in einer
Bezeichnung, welche der in jener Abhandlung benutzten genau
entspricht, nach
einfacher Rechnung
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1) Wir führen diese Annahme ein, um annehmen zu können, daß
die
wirkenden Kräfte vermöge der Art, wie sie erzeugt sind, keinen be-
schränkenden
Bedingungen unterworfen seien.
2) A. Einstein, Ann. d. Phys. 17. §§ 3 u. 6. 1905.
wobei wie dort den Ausdruck
bedeutet. Es ist zu beachten, daß gemäß unseren Voraus-
setzungen die Kräfte
X' keine beliebigen sein dürfen. Sie
müssen vielmehr zu jeder Zeit so
beschaffen sein, daß der
betrachtete Körper keine Beschleunigung erfährt.
Hierfür er-
hält man nach einem Satze der Statik die notwendige (aber
nicht hinreichende) Bedingung, daß von einem mit dem Körper
bewegten
Koordinatensystem aus betrachtet die Summe der
X-Komponenten der auf
den Körper wirkenden Kräfte stets
verschwindet. Man hat also für jedes
:
Wären also die Grenzen für in dem obigen Integralausdruck
für E von , ,
unabhängig, so wäre E = 0. Dies ist
jedoch nicht der Fall. Aus der
Transformationsgleichung
folgt nämlich unmittelbar, daß die Zeitgrenzen im bewegten
System sind:
Wir denken uns das Integral im Ausdruck für E in drei
Teile zerlegt.
Der erste Teil umfasse die Zeiten zwischen
der zweite Teil zwischen
der dritte zwischen
Der zweite Teil verschwindet, weil er von , , unab-
hängige Zeitgrenzen
hat. Der erste und dritte Teil hat über-
haupt nur dann einen bestimmten Wert,
wenn die Annahme
gemacht wird, daß in der Nähe der Zeiten t = t0 und t = t1
die auf den Körper
wirkenden Kräfte von der Zeit unabhängig
seien, derart, daß für alle Punkte des
starren Körpers zwischen
den Zeiten
bez. zwischen
die elektrische Kraft X' von der Zeit unabhängig ist. Nennt
man X0'
bez. X1' die in diesen beiden Zeiträumen vor-
handenen X', so erhält
man:
Nimmt man ferner an, daß am Anfang (t = t0) keine Kräfte
auf den Körper
wirken, so verschwindet das zweite dieser
Integrale. Mit Rücksicht darauf,
daß
die -Komponente K der auf das Raumelement wirkenden
ponderomotorischen
Kraft ist, erhält man
wobei die Summe über alle Massenelemente des Körpers zu
erstrecken
ist.
Wir haben also folgendes merkwürdige Resultat erhalten.
Setzt man einen
starren Körper, auf den ursprünglich keine
Kräfte wirken, dem Einflusse von
Kräften aus, welche dem
Körper keine Beschleunigung erteilen, so leisten diese
Kräfte
-- von einem relativ zu dem Körper bewegten Koordinaten-
system aus
betrachtet -- eine Arbeit E auf den Körper,
welche lediglich abhängt von
der endgültigen Kräfteverteilung
und der Translationsgeschwindigkeit.
Nach dem Energieprinzip
folgt hieraus unmittelbar, daß die kinetische
Energie eines
Kräften unterworfenen starren Körpers um E größer ist als
die kinetische Energie desselben, ebenso rasch bewegten
Körpers, falls keine
Kräfte auf denselben wirken.
§ 2. Über die Trägheit eines elektrisch geladenen starren
Körpers.
Wir betrachten abermals einen starren, starr elektrisierten
Körper, welcher
eine gleichförmige Translationsbewegung im
Sinne der wachsenden x-Koordinaten
eines ,,ruhenden“ Ko-
ordinatensystems ausführt (Geschwindigkeit v). Ein äußeres
elektromagnetisches Kraftfeld sei nicht vorhanden. Wir wollen
indessen jetzt das
von den elektrischen Massen des Körpers
erzeugte elektromagnetische
Feld berücksichtigen. Wir be-
rechnen zunächst die elektromagnetische
Energie
Zu diesem Zweck transformieren wir diesen Ausdruck unter
Benutzung der in der
mehrfach zitierten Abhandlung ent-
haltenen Transformationsgleichungen, indem
wir unter dem
Integral Größen einführen, welche sich auf ein mit dem Körper
bewegtes Koordinatensystem beziehen. Wir erhalten so:
Es ist zu beachten, daß der Wert dieses Ausdruckes abhängt
von der Orientierung
des starren Körpers relativ zur Be-
wegungsrichtung. Wenn sich daher die gesamte
kinetische
Energie des elektrisierten Körpers ausschließlich zusammen-
setzte aus
der kinetischen Energie K0, welche dem Körper
wegen seiner ponderabeln Masse
zukommt, und dem Über-
schuß der elektromagnetischen Energie des bewegten
Körpers
über die elektrostatische Energie des Körpers für den Fall
der Ruhe, so
wären wir damit zu einem Widerspruche ge-
langt, wie leicht aus folgendem zu
ersehen ist.
Wir denken uns, der betrachtete Körper sei relativ zu
dem mitbewegten
Koordinatensystem in unendlich langsamer
Drehung begriffen, ohne daß äußere
Einwirkungen während
dieser Bewegung auf ihn stattfinden. Es ist klar, daß diese
Bewegung kräftefrei möglich sein muß, da ja nach dem Rela-
tivitätsprinzip die
Bewegungsgesetze des Körpers relativ zu
dem mitbewegten System dieselben sind
wie die Bewegungs-
gesetze in bezug auf ein ,,ruhendes“ System. Wir betrachten
nun den gleichförmig bewegten und unendlich langsam sich
drehenden Körper
vom ,,ruhenden“ System aus. Da die
Drehung unendlich langsam sein soll, trägt
sie zur kinetischen
Energie nichts bei. Der Ausdruck der kinetischen Energie
ist
daher in dem betrachteten Fall derselbe wie wenn keine
Drehung, sondern
ausschließlich gleichförmige Paralleltrans-
lation stattfände. Da nun der Körper
relativ zur Bewegungs-
richtung im Laufe der Bewegung verschiedene (beliebige)
Lagen
annimmt, und während der ganzen Bewegung das Energie-
prinzip gelten
muß, so ist klar, daß eine Abhängigkeit der
kinetischen Energie eines in
Translationsbewegung begriffenen
elektrisierten Körpers von der Orientierung
unmöglich ist.
Dieser Widerspruch wird durch die Resultate des vorigen
Paragraphen
beseitigt. Die kinetische Energie des betrach-
teten Körpers kann nämlich nicht
berechnet werden wie die
eines starren Körpers, auf den keine Kräfte wirken. Wir
haben vielmehr gemäß § 1 zu berücksichtigen, daß unser
starrer Körper Kräften
unterworfen ist, welche ihre Ursache in
der Wechselwirkung zwischen den
elektrischen Massen haben.
Bezeichnen wir also mit K0 die kinetische
Energie für den
Fall, daß keine elektrischen Ladungen vorhanden sind,
so er-
halten wir für die gesamte kinetische Energie K des Körpers
den
Ausdruck
wobei Es die elektrostatische Energie des betrachteten Körpers
im Zustand der
Ruhe bedeutet. In unserem Falle hat man
woraus man durch partielle Integration mit Berücksichtigung
des Umstandes, daß
X', Y ', Z' von einem Potential ableitbar
sind, erhält
Berücksichtigt man die im § 1 angegebenen Ausdrücke
für K0 und , so erhält
man für die kinetische Energie des
elektrisierten starren Körpers den
Ausdruck
Dieser Ausdruck ist, wie es sein muß, von der Orientierung
des Körpers relativ zur
Translationsrichtung unabhängig. Ver-
gleicht man den Ausdruck für K mit dem
für die Energie K0
eines nicht elektrisch geladenen Körpers
so erkennt man, daß der elektrostatisch geladene Körper eine
träge Masse besitzt,
welche die des nicht geladenen Körpers
um die durch das Quadrat der
Lichtgeschwindigkeit dividierte
elektrostatische Energie übertrifft. Der Satz von
der Trägheit
der Energie wird also durch unser Resultat in dem behandelten
speziellen Fall bestätigt.
§ 3. Bemerkungen betreffend die Dynamik des starren Körpers.
Nach dem Vorangehenden könnte es scheinen, als ob wir
von dem Ziele, eine
dem Relativitätsprinzip entsprechende
Dynamik der Paralleltranslation des
starren Körpers zu schaffen,
nicht mehr weit entfernt wären. Man muß sich
indessen daran
erinnern, daß die im § 1 ausgeführte Untersuchung die Energie
des
Kräften unterworfenen starren Körpers nur für den Fall
lieferte, daß jene Kräfte
zeitlich konstant sind. Wenn zur
Zeit t1 die Kräfte X' von der Zeit abhängen, so
erweist sich
die Arbeit E, also auch die Energie des starren Körpers,
nicht nur
als abhängig von denjenigen Kräften, welche zu
einer bestimmten Zeit
herrschen.
Um die hier vorliegende Schwierigkeit möglichst drastisch
zu beleuchten,
denken wir uns folgenden einfachen Spezialfall.
Wir betrachten einen starren
Stab AB, welcher relativ zu
einem Koordinatensystem (, , ) ruhe,
wobei die Stabachse
in der -Achse ruhe. Zu einer bestimmten Zeit 0
mögen
auf die Stabenden für ganz kurze Zeit entgegengesetzt gleiche
Kräfte
P wirken, während der Stab in allen übrigen Zeiten
Kräften nicht unterworfen
sei. Es ist klar, daß die genannte,
zur Zeit 0 auf den Stab ausgeübte
Wirkung eine Bewegung
des Stabes nicht erzeugt. Wir be-
trachten nun
genau denselben Vor-
gang von einem
zum vorher be-
nutzten parallelachsigen
Koordi-
natensystem aus, relativ zu
welchem
sich unser Stab in der Richtung
A--B mit der Geschwindigkeit v
bewegt.
Von dem letztgenannten Koordinatensystem aus beurteilt,
wirken nun
aber die Kraftimpulse in A und B nicht gleichzeitig;
der Impuls in B ist
vielmehr gegen den Impuls in A verspätet um
l(v/V 2) Zeiteinheiten, wobei
l die (ruhend gemessene) Stab-
länge bedeutet. Wir sind also zu dem
folgenden sonderbar
aussehenden Resultat gekommen. Auf den bewegten Stab
AB
wirkt zuerst in A ein Kraftimpuls und darauf nach einiger
Zeit ein
entgegengesetzter in B. Diese beiden Kraftimpulse
kompensieren einander
derart, daß die Bewegung des Stabes
durch sie nicht modifiziert wird. Noch
merkwürdiger erscheint
der Fall, wenn wir nach der Energie des Stabes fragen zu
einer Zeit, in welcher der Impuls in A bereits vorbei ist,
während der
Impuls in B noch nicht zu wirken begonnen hat.
Der Impuls in A hat auf
den Stab Arbeit übertragen (weil
der Stab bewegt ist); um diese Arbeit
muß sich also die
Energie des Stabes vermehrt haben. Gleichwohl hat
sich weder
die Geschwindigkeit des Stabes noch sonst eine auf ihn Bezug
habende Größe, von der wir die Energiefunktion des Stabes
abhängen lassen
könnten, geändert. Es scheint also eine Ver-
letzung des Energieprinzipes
vorzuliegen.
Die prinzipielle Lösung dieser Schwierigkeit liegt auf der
Hand. Indem wir
implizite annehmen, durch die auf den
Stab wirkenden Kräfte und durch die in
demselben Augenblick
herrschende Stabgeschwindigkeit den Momentanzustand
des
Stabes vollständig bestimmen zu können, nehmen wir an, daß
ein
Geschwindigkeitszuwachs des Körpers durch die ihn er-
zeugende, irgendwo am
Körper angreifende Kraft momentan
erzeugt werde, daß also die Ausbreitung der
auf einen Punkt
des Körpers ausgeübten Kraft über den ganzen Körper
keine
Zeit erfordere. Eine derartige Annahme ist, wie nachher ge-
zeigt wird, mit dem
Relativitätsprinzip nicht vereinbar. Wir
sind also in unserem Falle offenbar
genötigt, bei Einwirkung
des Impulses in A eine Zustandsänderung unbekannter
Qualität
im Körper anzunehmen, welche sich mit endlicher Geschwindig-
keit in
demselben ausbreitet und in kurzer Zeit eine Beschleu-
nigung des Körpers
bewirkt, falls innerhalb dieser Zeit nicht noch
andere Kräfte auf den Körper
wirken, deren Wirkungen die der
erstgenannten kompensieren. Wenn also
die Relativitätselektro-
dynamik richtig ist, sind wir noch weit davon
entfernt, eine
Dynamik der Paralleltranslation des starren Körpers zu
besitzen.
Wir wollen nuu zeigen, daß nicht nur die Annahme
momentaner Ausbreitung
irgend einer Wirkung, sondern all-
gemeiner jede Annahme von der Ausbreitung
einer Wirkung
mit Überlichtgeschwindigkeit mit der Relativitätstheorie nicht
vereinbar ist.
Längs der x-Achse eines Koordinatensystems (x, y, z) er-
strecke sich ein
Materialstreifen, relativ zu welchem sich eine
gewisse Wirkung mit der
Geschwindigkeit W fortzupflanzen
vermöge, und es möge sowohl in x = 0 (Punkt
A) als auch
in x = + l (Punkt B) sich je ein relativ zum Koordinaten-
system
(x, y, z) ruhender Beobachter befinden. Der Beob-
achter in A sende
vermittelst der oben genannten Wirkung
Zeichen zu dem Beobachter in B
durch den Materialstreifen,
welch letzterer nicht ruhe, sondern sich mit
der Geschwindigkeit
v ( < V ) in der negativen x-Richtung bewege. Das
Zeichen wird
dann, wie aus § 5 (l. c.) hervorgeht, mit der Geschwindigkeit
von A nach B übertragen. Die Zeit T, welche zwischen
Zeichengebung in A und
Zeichenempfang in B verstreicht, ist also
Die Geschwindigkeit v kann jeglichen Wert annehmen, der
kleiner ist als
V. Wenn also W > V ist, wie wir ange-
nommen haben, so kann man
v stets so wählen, daß T < 0
ist. Dies Resultat besagt, daß wir einen
Übertragungs-
mechanismus für möglich halten müßten, bei dessen Benutzung
die erzielte
Wirkung der (etwa von einem Willensakt begleiteten)
Ursache vorangeht. Wenn
dies Resultat auch, meiner Meinung
nach, rein logisch genommen keinen
Widerspruch enthält, so
widerstreitet es doch so unbedingt dem Charakter
unserer
gesamten Erfahrung, daß durch dasselbe die Unmöglichkeit
der Annahme
W > V zur Genüge erwiesen ist.
§ 4. Über die Energie eines Systems, welches aus einer Anzahl
kräftefrei
bewegter Massenpunkte besteht.
Betrachtet man den Ausdruck für die kinetische Energie k
eines mit der
Geschwindigkeit v bewegten Massenpunktes ()
so fällt auf, daß dieser Ausdruck die Gestalt einer Differenz
besitzt. Es ist
nämlich
Frägt man nicht speziell nach der kinetischen Energie, sondern
nach der Energie
des bewegten Massenpunktes schlechtweg,
so ist = k + konst. Während man nun
in der klassischen
Mechanik die willkürliche Konstante in dieser Gleichung am
bequemsten verschwinden läßt, erhält man in der Relativitäts-
mechanik den
einfachsten Ausdruck für , indem man den
Nullpunkt der Energie so wählt, daß
die Energie 0 für den
ruhenden Massenpunkt V 2 gesetzt wird.1) Man erhält
dann
An dieser Wahl des Nullpunktes der Energie werden wir im
folgenden
festhalten.
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1) Es ist zu beachten, daß die vereinfachende Festsetzung V 2 =
0
zugleich
der Ausdruck des Prinzipes der Äquivalenz von Masse und
Energie ist, und daß im
Falle des masselosen elektrisierten Körpers 0
nichts anderes ist als seine
elektrostatische Energie.
Wir führen nun wieder die zwei stets relativ zueinander
bewegten
Koordinatensysteme (x, y, z) und (, , ) ein. Relativ
zu (, , ) sei ein
Massenpunkt mit der Geschwindigkeit w
bewegt in einer Richtung,
welche mit der positiven -Achse
den Winkel bilde. Unter Benutzung der
in § 5 (l. c.) her-
geleiteten Beziehungen läßt sich leicht die Energie
des Massen-
punktes, bezogen auf das System (x, y, z) bestimmen. Man
erhält
Sind mehrere Massenpunkte vorhanden, denen verschiedene
Massen,
Geschwindigkeiten und Bewegungsrichtungen zukommen,
so erhalten wir für
deren Gesamtenergie E den Ausdruck
Bis jetzt haben wir über den Bewegungszustand des Systems (, , )
relativ zu
den bewegten Massen nichts festgesetzt. Wir können
und wollen hierüber nun
folgende, den Bewegungszustand von
(, , ) eindeutig bestimmende
Bedingungen festsetzen:
wobei w, w, w die Komponenten von w bezeichnen. Dieser
Festsetzung entspricht
in der klassischen Mechanik die Be-
dingung, daß das Bewegungsmoment
des Massensystems in
bezug auf (, , ) verschwinde. Dann erhalten
wir
oder, indem man die Energie E0 des Systems relativ zum
System (, , )
einführt:
Vergleicht man diesen Ausdruck mit dem für die Energie
eines mit der
Geschwindigkeit v bewegten Massenpunktes
so erhält man folgendes Resultat: In bezug auf die Abhängig-
keit der
Energie vom Bewegungszustand des Koordinaten-
systems, auf welches die
Vorgänge bezogen werden, läßt sich
ein System gleichförmig bewegter
Massenpunkte ersetzen durch
einen einzigen Massenpunkt von der Masse
= E0 V 2.
Ein System bewegter Massenpunkte besitzt also -- als
Ganzes genommen --
desto mehr Trägheit, je rascher die
Massenpunkte relativ zueinander bewegt sind.
Die Abhängig-
keit ist wieder gegeben durch das in der Einleitung angegebene
Gesetz.
Bern, Mai 1907.
(Eingegangen 14. Mai 1907.)
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