12. Über die Möglichkeit
einer neuen Prüfung des
Relativitätsprinzips;
von A. Einstein.
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In einer letztes Jahr erschienenen wichtigen Arbeit1) hat
Hr. J. Stark dargetan,
daß die bewegten positiven Ionen der
Kanalstrahlen Linienspektra emittieren, indem
er den Doppler-
Effekt nachwies und messend verfolgte. Er stellte auch Unter-
suchungen an in der Absicht, einen Effekt zweiter Ordnung
(proportional
2 nachzuweisen und zu messen; die nicht
speziell für diesen Zweck
eingerichtete Versuchsanordnung ge-
nügte jedoch nicht zur Erlangung eines sicheren
Resultates.
Ich will im nachfolgenden kurz zeigen, daß das Relativitäts-
prinzip in Verbindung
mit dem Prinzip der Konstanz der Ge-
schwindigkeit des Lichtes jenen Effekt
vorauszubestimmen
gestattet. Wie ich in einer früheren Arbeit2) gezeigt habe,
geht
aus jenen Prinzipien hervor, daß eine gleichförmig be-
wegte Uhr, vom ,,ruhenden“
System aus beurteilt, langsamer
läuft als von einem mitbewegten Beobachter aus
beurteilt.
Bezeichnet die Anzahl der Schläge der Uhr pro Zeiteinheit
für den
ruhenden, 0 die entsprechende Anzahl für den mit-
bewegten Beobachter, so
ist
oder in erster Annäherung
Das Strahlung von bestimmten Frequenzen aussendende und
absorbierende Atomion
der Kanalstrahlen ist nun als eine
rasch bewegte Uhr aufzufassen, und es ist daher
die soeben
angegebene Beziehung auf dasselbe anwendbar.
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1) J. Stark, Ann. d. Phys. 21. p. 401. 1906.
2) A. Einstein, Ann. d. Phys. 17. p. 903. 1905.
Es ist aber zu beachten, daß die Frequenz 0 (für den
mitbewegten Beobachter)
unbekannt ist, so daß die obige Be-
ziehung der experimentellen Prüfung nicht direkt
zugänglich
ist. Es ist aber anzunehmen, daß 0 auch gleich ist der
Frequenz, welche
dasselbe Ion im ruhenden Zustand emittiert
bez. absorbiert, und zwar aus
folgendem Grunde. Aus der
Tatsache, daß dasselbe Linienspektrum unter sehr
verschiedenen
Bedingungen entsteht, entnehmen wir, daß die Frequenz 0
nicht
abhängig ist von Wechselwirkungen zwischen bewegten Ionen
und
ruhendem Gas, sondern daß sie dem Ion allein eigentüm-
lich ist; hieraus
folgert man direkt mit Hilfe des Relativitäts-
prinzips, daß 0 gleich sein muß
der Frequenz der von einem
ruhenden Ion emittierten bez. absorbierten
Strahlung.
Die Gleichung
gibt also direkt den gesuchten Effekt zweiter Ordnung.
Die von Hrn. Stark für den Effekt angegebenen Zahlen-
werte sind mehr als
zehnmal so groß als die aus der an-
gegebenen Formel hervorgehenden. Es erscheint
mir wahr-
scheinlich, daß sichere Resultate in der vorliegenden Frage
erst dann zu
erwarten sind, wenn es gelungen ist, (nicht-
leuchtende?) Kanalstrahlen im völlig
gasfreien Raume zu er-
zielen.
Bern, März 1907.
(Eingegangen 17. März 1907.)
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