6. Über die
im elektromagnetischen Felde auf ruhende
Körper ausgeübten ponderomotorischen Kräfte;
von
A. Einstein und J. Laub.
--------
In einer kürzlich erschienenen Abhandlung1) hat Hr. Min-
kowski einen
Ausdruck für die auf beliebig bewegte Körper
wirkenden ponderomotorischen
Kräfte elektromagnetischen Ur-
sprunges angegeben. Spezialisiert man die
Minkowskischen
Ausdrücke auf ruhende, isotrope und homogene Körper, so
erhält man für die X-Komponente der auf die Volumeneinheit
wirkenden
Kraft:
| (1) |
wobei die elektrische Dichte, den elektrischen Leitungsstrom,
G die elektrische
Feldstärke, B die magnetische Induktion be-
deuten. Dieser Ausdruck scheint uns
aus folgenden Gründen mit
dem elektronentheoretischen Bild nicht in Einklang zu
stehen:
Während nämlich ein von einem elektrischen Strom (Leitungs-
strom)
durchflossener Körper im Magnetfeld eine Kraft er-
leidet, wäre dies nach
Gleichung (1) nicht der Fall, wenn der
im Magnetfeld befindliche Körper statt von
einem Leitungs-
strom von einem Polarisationsstrom durchsetzt wird.
Nach Minkowski besteht also hier ein prinzipieller Unter-
schied zwischen einem
Verschiebungsstrom und einem Leitungs-
strom derart, daß ein Leiter nicht
betrachtet werden kann
als ein Dielektrikum von unendlich großer Dielektrizitäts-
konstante.
Angesichts dieser Sachlage schien es uns von Interesse
zu sein, die
ponderomotorischen Kräfte für beliebige magneti-
sierbare Körper auf
elektronentheoretischem Wege abzuleiten.
Wir geben im folgenden eine solche
Ableitung, wobei wir uns
aber auf ruhende Körper beschränken.
----------
1) H. Minkowski, Gött. Nachr. 1908. p. 45.
§ 1. Kräfte, welche nicht von Geschwindigkeiten der
Elementarteilchen
abhängen.
Wir wollen uns bei der Ableitung konsequent auf den
Standpunkt der
Elektronentheorie stellen1); wir setzen also:
| (2) |
| (3) |
wobei P den elektrischen, Q den magnetischen Polarisations-
vektor bedeutet. Die
elektrische bzw. die magnetische Polari-
sation denken wir uns bestehend in
räumlichen Verschie-
bungen von an Gleichgewichtslagen gebundenen, elektrischen
bzw. magnetischen Massenteilchen von Dipolen. Außerdem
nehmen wir noch das
Vorhandensein von nicht an Dipole ge-
bundenen, beweglichen elektrischen
Teilchen (Leitungselek-
tronen) an. In dem Raume zwischen den genannten
Teilchen
mögen die Maxwellschen Gleichungen für den leeren Raum
gelten, und
es seien, wie bei Lorentz, die Wechselwirkungen
zwischen Materie und
elektromagnetischem Felde ausschlielich
durch diese Teilchen bedingt.
Dementsprechend nehmen wir an,
daß die vom elektromagnetischen Felde auf das
Volumenelement
der Materie ausgeübten Kräfte gleich sind der Resultierenden
der ponderomotorischen Kräfte, welche von diesem Felde auf
alle in dem
betreffenden Volumenelement befindlichen elek-
trischen und magnetischen
Elementarteilchen ausgeübt werden.
Unter Volumenelement der Materie
verstehen wir stets einen
so großen Raum, daß er eine sehr große Zahl von
elektrischen
und magnetischen Teilchen enthält. Die Grenzen eines be-
trachteten Volumenelementes muß man sich ferner stets so
genommen
denken, daß die Grenzfläche keine elektrische bzw.
magnetische Dipole
schneidet.
Wir berechnen zunächst diejenige auf einen elektrischen
Dipol wirkende Kraft,
welche daher herrührt, daß die Feld-
stärke G an den Orten, an welchen sich die
Elementarmassen
des Dipols befinden, nicht genau dieselbe ist. Bezeichnet man
----------
1) Der einfacheren Darstellung halber halten wir aber an der dualen
Behandlung der elektrischen und magnetischen Erscheinungen fest.
mit p den Vektor des Dipolmomentes, so erhält man fült die
X-Komponente der
gesuchten Kraft den Ausdruck:
Denkt man sich den letzten Ausdruck für alle Dipole in der
Volumeneinheit
gebildet und summiert, so erhält man unter
Berücksichtigung der Beziehung:
die Gleichung:
| (4) |
Wenn die algebraische Summe der positiven und negativen
Leitungselektronen
nicht verschwindet, dann kommt zum Aus-
druck (4) noch ein Term hinzu, den
wir nun berechnen wollen.
Die X-Komponente der auf ein Leitungselektron von
der elek-
trischen Masse e wirkenden ponderomotorischen Kraft ist eGx.
Summiert man über alle Leitungselektronen der Volumen-
einheit, so erhält
man:
| (5) |
Denkt man sich die betrachtete in der Volumeneinheit befind-
liche Materie von
einer Fläche umschlossen, welche keine
Dipole schneidet, so erhält man nach
dem Gaussschen Satz
und nach der Definition des Verschiebungsvektors
D:
so daß
| (5a) |
wird. Die X-Komponente der von der elektrischen Feldstärke
auf die
Volumeneinheit der Materie ausgeübten Kraft ist daher
gleich:
| (6) |
Analog erhalten wir unter Berücksichtigung der Beziehung
für die X-Komponente der von der magnetischen Feldstärke
gelieferten
Kraft:
| (7) |
Es ist zu bemerken, daß für die Herleitung der Aus-
drücke (6) und
(7) keinerlei Voraussetzung gemacht werden
muß über die Beziehungen,
welche die Feldstärken G und H
mit den Polarisationsvektoren P und Q
verbinden.
Hat man es mit anisotropen Körpern zu tun, so liefern
die elektrische bzw. die
magnetische Feldstärke nicht nur eine
Kraft, sondern auch Kräftepaare, welche
sich auf die Materie
übertragen. Das gesuchte Drehmoment ergibt sich leicht für
die einzelnen Dipole und Summation über alle elektrischen
und magnetischen
Dipole in der Volumeneinheit. Man erhält:
| (8) |
Die Formel (6) liefert diejenigen ponderomotorischen Kräfte,
welche bei
elektrostatischen Problemen eine Rolle spielen.
Wir wollen diese Gleichung für den
Fall, daß es sich um iso-
trope Körper handelt, so umformen, daß sie einen
Vergleich
gestattet mit demjenigen Ausdrucke für die ponderomotorischen
Kräfte,
wie er in der Elektrostatik angegeben wird. Setzen wir
so geht die Gleichung (6) über in:
Die ersten beiden Glieder dieses Ausdruckes sind identisch
mit den aus der
Elektrostatik bekannten. Das dritte Glied
ist, wie man sieht, von einem Potential
ableitbar. Handelt
es sich um Kräfte, die auf einen im Vakuum befindlichen
Körper wirken, so liefert das Glied bei Integration über den
Körper keinen
Beitrag. handelt es sich aber um die pondero-
motorische Wirkung auf
Flüssigkeiten, so wird der dem dritten
Glied entsprechende Anteil der
Kraft bei Gleichgewicht durch
eine Druckverteilung in der Flüssigkeit
kompensiert.
§ 2. Kräfte, welche von den Geschwindigkeiten der
Elementarteilchen
abhängen.
Wir gehen jetzt über zu demjenigen Anteile der pondero-
motorischen Kraft,
welcher durch die Bewegungsgeschwindig-
keiten der Elementarladungen geliefert
wird.
Wir gehen aus vom Biot-Savartschen Gesetz. Auf ein
stromdurchflossenes
Volumenelement, welches sich in einem
magnetischen Felde befindet, wirkt
erfahrungsgemäß pro Vo-
lumeneinheit die Kraft:
falls die betrachtete, stromdurchflossene Materie nicht magne-
tisch polarisierbar
ist. Für das Innere von magnetisch polari-
sierbaren Körpern wurde, soviel uns
bekannt ist, bis jetzt jene
Kraft gleich1)
gesetzt, wobei B die magnetische Induktion bedeutet. Wir
wollen nun zeigen, daß
auch im Falle, daß das stromdurch-
flossene Material magnetisch polarisierbar ist,
die auf das strom-
durchflossene Volumenelement wirkende Kraft erhalten wird,
wenn man zu der durch die Gleichung (7) ausgedrückten Kraft
noch die
Volumenkraft:
| (9) |
hinzufügt. Wir wollen dies zuerst an einem einfachen Bei-
spiel anschaulich
machen.
Der unendlich dünne im Querschnitt gezeichnete Streifen S
erstrecke
sich senkrecht zur Papierebene nach beiden Seiten
ins Unendliche. Er bestehe
aus
magnetisch polarisierbarem Mate-
rial und
befinde sich in einem
homogenen Magnetfelde
Ha, dessen
Richtung durch die Pfeile
(vgl.
Figur) angedeutet ist. Wir fragen
nach
der auf den Materialstreifen wirkenden Kraft,
falls der-
selbe von einem Strome i durchflossen
ist.
Die Erfahrung lehrt, daß diese Kraft von der magnetischen
Permeabilität des
Leitermateriales unabhängig ist, und man
schloß daraus, daß es nicht die
Feldstärke H, sondern die
magnetische Induktion Bi sein müsse, welche für die
pondero-
----------
1) Vgl. z. B. auch M. Abraham, Theorie der Elektrizität 2. p. 319.
1905.
motorische Kraft maßgebend ist, denn im Innern des Streifens
ist die
magnetische Induktion Bi gleich der außerhalb des
Streifens wirkenden Kraft Ha,
unabhängig von dem Werte der
Permeabilität des Streifens, während die im
Innern des Streifens
herrschende Kraft Hi bei gegebenem äußeren Felde
von
abhängt. Dieser Schluß ist aber nicht stichhaltig, weil die
ins Auge
gefaßte ponderomotorische Kraft nicht die einzige
ist, welche auf unseren
Materialstreifen wirkt. Das äußere
Feld Ha induziert nämlich auf der Oberseite
und Unterseite
des Materialstreifens magnetische Belegungen von der Dichte1):
Ha , und zwar auf der Oberseite eine negative, auf der
Unterseite
eine positive Belegung. Auf jede dieser Belegungen
wirkt eine von dem
im Streifen fließenden Strom erzeugte Kraft
von der Stärke i 2 b pro
Längeeinheit des Streifens2), welche
magnetische Kraft an der Oberseite und
Unterseite verschieden
gerichtet ist. Die so resultierenden ponderomotorischen
Kräfte
addieren sich, so daß wir die ponderomotorische Kraft erhalten:
Ha i. Diese Kraft scheint bis jetzt nicht berück-
sichtigt worden zu
sein.
Die auf die Längeeinheit unseres Streifens im ganzen aus-
geübte Kraft ist nun
gleich der Summe der soeben berech-
neten und der auf die Volumenelemente des
Streifens infolge
des Stromdurchganges im Magnetfeld wirkenden Kraft R. Da
die
gesamte auf die Längeeinheit wirkende ponderomotorische
Kraft erfahrungsgemäß
gleich iHa ist, so besteht die Gleichung:
oder
Man sieht also, daß für die Berechnung der ponderomotorischen
Kraft R, welche
auf stromdurchflossene Volumenelemente
----------
1) Die Dichte ist nämlich gleich:
2) Statt dieser auf die Belegungen wirkenden Kräfte hätten wir
streng
genommen nach den Resultaten des vorigen Paragraphen aller-
dings
Volumenkräfte einführen müssen, was jedoch ohne Belang ist.
wirkt, nicht die Induktion Bi, sondern die Feldstärke Hi maß-
gebend
ist.
Um jeden Zweifel zu beseitigen, wollen wir noch ein Bei-
spiel behandeln, aus
welchem man ersieht, daß das Prinzip
der Gleichheit von Wirkung und
Gegenwirkung den von uns
gewählten Ansatz fordert.
Wir denken uns einen zylindrischen, von leerem Raum
umgebenen und
vom Strom durchflossenen Leiter, welcher
sich längs der X-Achse eines
Koordinatensystems beiderseits
ins Unendliche erstreckt. Die Materialkonstanten
des Leiters,
sowie die im folgenden auftretenden Feldvektoren seien von x
unabhängig, aber Funktionen von y und z. Der Leiter sei
ein magnetisch harter
Körper und besitze eine Magnetisierung
quer zur X-Achse. Wir nehmen an, daß
ein äußeres Feld
auf den Leiter nicht wirkt, daß also die magnetische Kraft H
in
großen Entfernungen vom Leiter verschwindet.
Es ist klar, daß auf den Leiter als Ganzes keine pondero-
motorische Kraft
wirkt, denn es würde zu dieser Wirkung
keine Gegenwirkung angebbar sein. Wir
wollen nun zeigen,
daß bei Wahl unseres Ansatzes jene Kraft in der Tat ver-
schwindet. Die gesamte auf die Längeeinheit unseres Leiters
in der Richtung der
Z-Achse wirkende Kraft läßt sich dar-
stellen gemäß den Gleichungen (7) und (9)
in der Form:
| (10) |
wobei df ein Flächenelement der Y Z-Ebene bedeutet. Wir
nehmen an, daß
sämtliche in Betracht kommende Größen an
der Oberfläche des Leiters
stetig sind. Wir behandeln zuerst
das erste Integral der Gleichung (10). Es
ist:
Setzt man die rechte Seite dieser Gleichung in unser Integral
ein, so verschwinden
bei Integration über die Y Z-Ebene die
beiden ersten Glieder, da die Kräfte im
Unendlichen ver-
schwinden. Das dritte Glied kann unter Berücksichtigung:
umgeformt werden, so daß unser Integral die Form annimmt:
Nun ist:
Bei der Integration verschwinden aber die beiden Glieder
+ .
Das Glied - Hy läßt sich umformen
mittels der Maxwellschen Gleichungen
in:
so daß wir endlich die Gleichung (10) schreiben können:
Das letzte Integral wird Null, weil im Unendlichen die Kräfte
verschwinden.--
Nachdem wir so die Kraft festgestellt haben, welche auf
von einem
Leitungsstrom durchflossene Materie wirkt, erhalten
wir die Kraft, die auf einen
von einem Polarisationsstrom
durchsetzten Körper wirkt, indem wir beachten, daß
Polari-
sationsstrom und Leitungsstrom in bezug auf elektrodynamische
Wirkung vom Standpunkt der Elektronentheorie durchaus äqui-
valent sein
müssen.
Durch Berücksichtigung der Dualität von magnetischen
und elektrischen
Erscheinungen erhält man auch noch die
Kraft, welche auf einen von einem
magnetischen Polarisations-
strom durchsetzten Körper im elektrischen Felde
ausgeübt wird.
Als Gesamtausdruck für diejenigen Kräfte, welche von der Ge-
schwindigkeit der Elementarteilchen abhängen, erhalten wir
auf diese Weise die
Gleichungen:
| (11) |
§ 3. Gleichheit von actio und reactio.
Addiert man die Gleichungen (6), (7) und (11), so erhält
man den
Gesamtausdruck für die X-Komponente der pro Vo-
lumeneinheit auf die Materie
wirkenden ponderomotorischen
Kraft in der Form:
Die Gleichung kann man auch schreiben:
Ersetzt man
mittels der Maxwellschen Gleichungen durch curl H bzw.
durch curl G, so erhält
man durch eine einfache Umformung:
| (12) |
wobei gesetzt ist1):
| (13) |
----------
1) Hr. Geheimrat Wien hatte die Güte, uns darauf aufmerksam zu
machen, daß bereits H. A. Lorentz die ponderomotorischen Kräfte für
nicht
magnetisierbare Körper in dieser Form angegeben hat. Enzykl.
d. mathem. W. 5.
p. 247.
Entsprechende Gleichungen gelten für die beiden anderen
Komponenten der
ponderomotorischen Kraft.
Integriert man (12) über den unendlichen Raum, so erhält
man, falls im
Unendlichen die Feldvektoren verschwinden, die
Gleichung:
| (14) |
Sie sagt aus, daß unsere ponderomotorischen Kräfte bei Ein-
führung der
elektromagnetischen Bewegungsgröße dem Satz
von der Gleichheit von actio und
reactio genügen.
Bern, 7. Mai 1908.
(Eingegangen 13. Mai 1908.)
----------