5. Über die elektromagnetischen
Grundgleichungen für bewegte Körper;
von A. Einstein und J. Laub.

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In einer kürzlich veröffentlichten Abhandlung1) hat Hr.
Minkowski die Grundgleichungen für die elektromagnetischen
Vorgänge in bewegten Körpern angegeben. In Anbetracht des
Umstandes, daß diese Arbeit in mathematischer Beziehung an
den Leser ziemlich große Anforderungen stellt, halten wir es
nicht für überflüssig, jene wichtigen Gleichungen im folgenden
auf elementarem Wege, der übrigens mit dem Minkowski-
schen im wesentlichen übereinstimmt, abzuleiten.

§ 1. Ableitung der Grundgleichungen für bewegte Körper.

Der einzuschlagende Weg ist folgender: Wir führen zwei
Koordinatensysteme K und K' ein, welche beide beschleuningungs-
frei, jedoch relativ zueinander bewegt sind. Ist im Raume
Materie vorhanden, die relativ zu K' ruht, gelten in bezug
auf K' die Gesetze der Elektrodynamik ruhender Körper,
welche durch die Maxwell-Hertzschen Gleichungen dar-
gestellt sind. Transformieren wir diese Gleichungen auf das
System K, so erhalten wir unmittelbar die elektrodynamischen
Gleichungen bewegter Körper für den Fall, daß die Ge-
schwindigkeit der Materie räumlich und zeitlich konstant ist.
Die so erhaltenen Gleichungen gelten offenbar mindestens in
erster Annäherung auch dann, wenn die Geschwindigkeits-
verteilung der Materie eine beliebige ist. Diese Annahme
rechtfertigt sich zum Teil auch dadurch, daß das auf diese
Weise erhaltene Resultat streng gilt in dem Falle, daß eine
Anzahl von mit verschiedenen Geschwindigkeiten gleichförmig
bewegten Körpern vorhanden ist, welche voneinander durch
Vakuumzwischenräume getrennt sind.

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1) H. Minkowski, Göttinger Nachr, 1908.

Wir wollen mit Bezug auf das System K' den Vektor
der elektrischen Kraft G', der magnetischen Kraft H', der
dielektrischen Verschiebung D', der magnetischen Induktion B',
den des elektrischen Stromes q' nennen; ferner bezeichne r'
die elektrische Dichte. Es mögen für das Bezugssystem K'
die Maxwell-Hertzschen Gleichungen gelten:

            (     '    )
curl'H'=   1- @-D--+ q'  ,
           c   @ t'
(1)

   '  '     1@-B'-
curlG  =  - c @ t' ,
(2)

div'D'=   r',
(3)

div'B'=   0.
(4)

Wir betrachten ein zweites rechtwinkliges Bezugssystem K,
dessen Achsen dauernd parallel sind denen von K'. Der An-
fangspunkt von K' soll sich mit der konstanten Geschwindig-
keit v in der positiven Richtung der x-Achse von K bewegen.
Dann gelten bekanntlich bei passend gewähltem Anfangspunkt
der Zeit nach der Relativitätstheorie für jedes Punktereignis
folgende Transformationsgleichungen1):

   x'=  b(x - v t) ,  (              )
{  y'=  y,
   z'=  z,             b =   V~ -1-----  ,
    '    (    v- )                v2
   t = b  t-  c2x  ,          1-  -2-
                                  c
(5)

wobei x, y, z, t die Raum- und Zeitkoordinaten im System K
bedeuten. Führt man die Transformationen aus, so erhält
man die Gleichungen:

           (         )
          1- @-D-
curlH  =  c   @ t + q  ,
(1 a)

           1@-B-
curlG =  - c @ t ,
(2 a)

div D =  r ,
(3 a)

divB  = 0 ,
(4 a)

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1) A. Einstein, Ann. d. Phys, 17. p. 902. 1905.

wobei gesetzt ist:

          '
  Gx =  G x,
          (  '   v- ')
  Gy =  b  G y + c B z ,
          (      v   )
  Gz =  b  G'z-  -B'y  ,
{                c
  Dx  = D' ,
          x(          )
  D   = b  D' +  v-H'  ,
    y        y   c  z
          (  '   v-  ')
  Dz =  b  D z-  c Hy   ;
(6)

          '
  Hx  = H x,
          (      v   )
  Hy  = b  H'y-  --D'z   ,
          (      c   )
  Hz =  b  H' +  v-D'  ,
{            z   c  y
  B  =  B' ,
    x    x(          )
             '   v- '
  By =  b  B y-  c G z ,
         (      v    )
  Bz =  b  B'z +--G'y  ,
                 c
(7)

und

      (  '   v- ')
r =  b  r +  c qx  ,
(8)

           (      v   )
    qx = b   q'x + --r'  ,
{                 c
    qy = q'y ,
          '
    qz = qz .
(9)

Will man die Ausdrücke für die gestrichenen Größen als
Funktion der ungestrichenen haben, so vertauscht man die
gestrichenen und ungestrichenen Größen und ersetzt v durch -v.

Die Gleichungen (1a) bis (4a), welche die elektromagne-
tischen Vorgänge relativ zum System K beschreiben, haben
dieselbe Gestalt, wie die Gleichungen (1) bis (4). Wir wollen
daher die Gröben

G, D, H, B, r, q

analog benennen, wie die entsprechenden Gröben relativ zum
System K'. Es sind also G, D, H, B, r, q die elektrische Kraft,
die dielektrische Verschiebung, die magnetische Kraft, die magne-

tische Induktion, die elektrische Dichte, der elektrische Strom in
bezug auf K.

Die Transformationsgleichungen (6) und (7) reduzieren sich
für das Vakuum auf die früher gefundenen1) Gleichungen für
elektrische und magnetische Kräfte.

Es ist klar, daß man durch wiederholte Anwendung solcher
Transformationen, wie die soeben durchgeführte, stets auf
Gleichungen von derselben Gestalt wie die ursprünglichen (1)
bis (4) kommen muß, und daß für solche Transformationen
die Gleichungen (6) bis (9) maßgebend sind. Denn es wurde
bei der ausgeführten Transformation in formaler Beziehung
nicht davon Gebrauch gemacht, daß die Materie relativ zu
dem ursprünglichen System K' ruhte.

Die Gültigkeit der transformierten Gleichungen (1a) bis (4a)
nehmen wir an auch für den Fall, daß die Geschwindigkeit
der Materie räumlich und zeitlich variabel ist, was in erster
Annäherung richtig sein wird.

Es ist bemerkenswert, daß die Grenzbedingungen für die
Vektoren G, D, H, B, an der Grenze zweier Medien dieselben
sind, wie für ruhende Körper. Es folgt dies direkt aus den
Gleichungen (1a) bis (4a).

Die Gleichungen (1a) bis (4a) gelten genau wie die Glei-
chungen (1) bis (4) ganz allgemein für inhomogene und aniso-
trope Körper. Dieselben bestimmen die elektromagnetischen
Vorgänge noch nicht vollständig. Es müssen vielmehr noch
Beziehungen gegeben sein, welche die Vektoren D, B und q
als Funktion von G und H ausdrücken. Solche Gleichungen
wollen wir nun für den Fall angeben, daß die Materie isotrop
ist. Betrachten wir zunächst wieder den Fall, daß alle Materie
relativ zu K' ruht, so gelten in bezug auf K' die Gleichungen:

D'=  e G',
(10)

B'=  m H',
(11)

 '      '
q =  s G ,
(12)

wobei e = Dielektrizitätskonstante, m = Permeabilität, s = elek -
trische Leitfähigkeit als bekannte Funktionen von x', y', z', t'
anzusehen sind. Durch die Transformation von (10) bis (12)
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1) A. Einstein, l. e. p. 909.

auf K mittels der Umkehrung unserer Transformations-
gleichungen (6) bis (9) erhält man die für das System K
geltenden Beziehungen:

   Dx = e Gx ,
        v        (      v    )
{  Dy - --Hz  = e  Gy - --Bz   ,
         c       (       c   )
   Dz + v-Hy  = e  Gz + v-By   ,
        c               c
(10a)

  Bx  = m Hx ,
        v        (      v    )
{ By  + --Gz =  m  Hy + --Dz   ,
        cv        (      vc   )
  Bz  - --Gy =  m  Hz - --Dy   ,
        c                c
(11a)

    (        )
  b  qx - v-r  =  sGx ,
          c(           )
{ q  = sb   G  - v-B    ,
   y         y   c   z
          (      v-   )
  qz = sb   Gz + c By   ,
(12a)

Ist die Geschwindigkeit der Materie nicht der X-Achse
parallel, sondern ist diese Geschwindigkeit durch den Vektor v
bestimmt, so erhält man die mit den Gleichungen (10a) bis (12a)
gleichartigen vektoriellen Beziehungen:

          1          {     1      }
     D +  --[v H] = e   G + --[vB]   ,
          c          {     c      }
          1                 1
     B -  -[d G] = m  H  -  -[vD]   ,
{   (     c    )     {      c     }
           |v-|             1-
  b   qv-  c r   = s   G +  c [vB]   ,
                     {           }  v
             qv = sb  G  + 1-[v B]    ,
                           c       v
(13)

wobei der Index v bedeutet, daß die Komponente nach der
Richtung von v, der Index v , daß die Komponenten nach den
auf v senkrechten Richtungen v zu nehmen ist.

§ 2. Über das elektromagnetische Verhalten bewegter
Dielektrika. Versuch von Wilson.

Im folgenden Abschnitt wollen wir noch an einem ein-
fachen Spezialfall zeigen, wie sich bewegte Dielektrika nach

der Relativitätstheorie verhalten, und worin sich die Resultate
von den durch die Lorentzsche Theorie gelieferten, unter-
scheiden. Es sei S ein im Querschnitt angedeuteter, prismatischer
Streifen (vgl. Figur) aus einem homogenen, isotropen Nicht-
leiter, der sich senkrecht zur Papierebene in beiderlei Sinn
ins Unendliche erstreckt und sich vom Beschauer nach der
Papierebene zu mit der konstanten Ge-
schwindigkeit v zwischen den beiden Kon-
densatorplatten A1 und A2 hindurch-
bewegt. Die Ausdehnung des Streifens S
senkrecht zu den Platten A sei unend-
lich klein relativ zu dessen Ausdehnung
parallel den Platten und zu beiden Aus-
dehnungen der Platten A; der Zwischen-
raum zwischen S und den Platten A (im
folgenden kurz Zwischenraum genannt)
sei außerdem gegenüber der Dicke von S zu vernachlässigen.
Das betrachtete Körpersystem beziehen wir PIC auf ein relativ zu
den Platten A ruhendes Koordinatensystem, dessen positive
X-Richtung in die Bewegungsrichtung falle, und dessen Y - und
Z-Achsen parallel bzw. senkrecht zu den Platten A sind. Wir
wollen das elektromagnetische Verhalten des zwischen den
Platten A sich befindenden Streifenstückes untersuchen, falls
der elektromagnetische Zustand stationär ist.

Wir denken uns eine geschlossene Fläche, welche gerade
den wirksamen Teil der Kondensatorplatten nebst dem des
dazwischen liegenden Streifenstückes einschließt. Da sich inner-
halb dieser Fläche weder bewegte wahre Ladungen, noch
elektrische Leitungsströme befinden, gelten die Gleichungen
(vgl. Gleichungen (1a) bis (4a)):

curlH  =  0,

curlG  = 0 .

Innerhalb dieses Raumes sind also sowohl die elektrische, wie
auch die magnetische Kraft von einem Potential ableitbar.
Wir können daher sofort die Verteilung der Vektoren G und H,
falls die Verteilung der freien elektrischen bzw. magnetischen
Dichte bekannt ist. Wir beschränken uns auf die Betrachtung

des Falles, daß die magnetische Kraft H parallel der Y -Achse
ist, die elektrische G parallel der Z-Achse. Dazu, sowie zu
der Voraussetzung, daß die in Betracht kommenden Felder
innerhalb des Streifens, sowie innerhalb des Zwischenraumes
homogen sind, berechtigen uns die oben erwähnten Größen-
ordnungsbedingungen für die Abmessungen des betrachteten
Systems. Ebenso schließen wir unmittelbar, daß die an den
Enden des Streifenquerschnittes sich befindenden magnetischen
Massen nur einen verschwindend kleinen Beitrag zum magne-
tischen Feld liefern.1) Die Gleichungen (13) geben dann für
das Innere des Streifens folgende Beziehungen:

              (           )
D  + v-H   = e  G  + v-B    ,
 z   c   y       z   c   y
     v        (       v   )
By + --Gz =  m  Hy +  -Dz   .
     c                c

Diese Gleichungen lassen sich auch in folgender Form schreiben:

  (          )                        (       )
           v2-       v-                     v2-
    1 - em c2  By =  c(em - 1) Gz + m   1-  c2  Hy ,
{ (         2)        (      2)
    1 - em v-- D  =  e  1-  v-- G   + v(em - 1) H  .
           c2    z          c2    z   c           y
(1)

Zur Deutung von (1) bemerken wir folgendes: An der Ober-
fläche des Streifens erfährt die dielektrische Verschiebung Dz
keinen Sprung, also ist Dz die Ladung der Kondensator-
platten (genauer der Platte A1) pro Flächeneinheit. Ferner
ist Gz × d gleich der Potentialdifferenz zwischen den Konden-
satorplatten A1 und A2, falls d den Abstand der Platten be-
zeichnet, denn denkt man sich den Streifen durch einen parallel
der XZ-Ebene verlaufenden unendlich engen Spalt getrennt,
so ist G, nach den für diesen Vektor geltenden Grenzbedingungen,
gleich der elektrischen Kraft in dem Spalt.

Wir betrachten nun zunächst den Fall, daß ein von außen
erregtes Magnetfeld nicht vorhanden ist, d. h. nach dem obigen,
daß in dem betrachteten Raume die magnetische Feldstärke Hy
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1) Es erhellt dies auch daraus, daß wir ohne wesentliche Änderung
der Verhältnisse den Kondensatorplatten und dem Streifen Kreiszylinder-
form geben könnten, in welchem Falle freie magnetische Massen aus
Symmetriegründen überhaupt nicht auftreten könnten.

überhaupt verschwindet. Dann haben die Gleichungen (1)
folgende Gestalt:

(          )
         v2-       v-
  1 - em c2  By =  c (em -  1)Gz ,
(          )        (       )
         v2-              v2-
  1 - em c2  Dz =  e  1-  c2  Gz .

Da v < c sein muß, so sind, falls em - 1 > 0 ist, die Koeffizienten
von Gz in den beiden letzten Gleichungen positiv. Die Koeffi-
zienten von By und Dz sind dagegen größer, gleich bzw. kleiner
als Null, je nachdem die Streifengeschwindigkeit kleiner, gleich
oder größer als c/ V~ -em, d.h. als die Geschwindigkeit elektromagne-
tischer Wellen in dem Streifenmedium, ist. Hat also Gz einen
bestimmten Wert, d.h. legt man an die Kondensatorplatten eine
bestimmte Spannung an und variiert man die Streifengeschwindig-
keit von kleineren zu größeren Werten, so wächst zunächst so-
wohl die dem Vektor D proportionale Ladung der Kondensator-
platten, wie die magnetische Induktion B im Streifen. Erreicht
v den Wert c/ V~ ----
  em, so wird sowohl die Ladung des Kondensators,
wie auch die magnetische Induktion unendlich groß. Es würde
also in diesem Falle eine Zerstörung des Streifens durch be-
liebig kleine angelegte Potentialdifferenzen stattfinden. Für
alle v > c/ V~  em resultiert ein negativer Wert für D und B.
In dem letzten Falle würde also eine an die Kondensator-
platten gelegte Spannung eine Ladung des Kondensators in
dem der Spannungsdifferenz entgegengesetzten Sinne bewirken.

Wir betrachten jetzt noch den Fall, daß ein von außen
erregtes magnetisches Feld Hy vorhanden ist. Dann hat man
die Gleichung:

(          )        (       )
        v2                v2        v
  1 - em-c2-  Dz =  e  1-  c2- Gz +  c-(em -  1)Hy ,

welche bei gegebenem Hy eine Beziehung zwischen Gz und Dz
gibt. Beschränkt man sich nur auf Größen erster Ordnung
in v/c, so hat man:

            v-
Dz = e Gz +  c (em - 1) Hy ,
(2)

während die Lorentzsche Theorie auf den Ausdruck:

             v
Dz =  eGz +  --(e - 1) mHy
             c
(3)

führt.

Die letzte Gleichung wurde bekanntlich von H. A. Wilson
(Wilsoneffekt) experimentell geprüft. Man sieht, daß sich (2)
und (3) in Gliedern erster Ordnung unterscheiden. Hätte man
einen dielektrischen Körper von beträchtlicher Permeabilität,
so könnte man eine experimentelle Entscheidung zwischen
den Gleichungen (2) und (3) treffen.

Verbindet man die Platten A1 und A2 durch einen Leiter,
so tritt auf den Kondensatorplatten eine Ladung von der
Größe Dz pro Flächeneinheit auf; man erhält sie aus der
Gleichung (2), indem man berücksichtigt, daß bei verbundenen
Kondensatorplatten Gz = 0 ist. Es ergibt sich:

D  =  v-(em-  1)H  .
  z   c           y

Verbindet man die Kondensatorplatten A1 und A2 mit einem
Elektrometer von unendlich kleiner Kapazität, so ist Dz = 0,
und man bekommt für die Spannung (Gz .d) die Gleichung:

            v-
0 = e Gz +  c (em - 1) Hy .

Bern, 29. April 1908.

(Eingegangen 2. Mai 1908.)

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