5. Über Friedrich Kottlers Abhandlung
,,Über Einsteins
Äquivalenzhypothese und die
Gravitation“1);
von A.
Einstein.
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Unter den Arbeiten, welche sich kritisch mit der all-
gemeinen Relativitätstheorie
beschäftigen, sind besonders die-
jenigen Kottlers bemerkenswert, denn dieser
Fachgenosse ist
wirklich in den Geist der Theorie eingedrungen. Mit der letzten
dieser
Arbeiten will ich mich hier auseinandersetzen.
Kottler behauptet, ich hätte das von mir aufgestellte
,,Äquivalenzprinzip“, durch
welches ich die Begritfe der
,,trägen Masse“ und der ,,schweren Masse“ zu einem
ein-
heitlichen Begriffe zu vereinigen strebte, in meinen späteren
Arbeiten
wieder aufgegeben. Diese Meinung muß darauf be-
ruhen, daß wir beide nicht
dasselbe als ,,Äquivalenzprinzip“
bezeichnen; denn nach meiner Auffassung
ruht meine Theorie
ausschließlich auf diesem Prinzip. Deshalb sei folgendes
wiederholt:
1. Der Grenzfall der speziellen Relatiritätstheorie. Ein
raumzeitlich endliches
Gebiet sei frei von einem Gravitations-
felde, d. h. es sei möglich, ein Bezugssystem
K (,,Galileisches
System“) aufzustellen, relativ zu welchem für das genannte
Gebiet
folgendes gilt. Koordinaten seien in bekannter Weise
mit dem Einheitsmaßstab,
Zeiten mit der Einheitsuhr un-
mittelbar meßbar, wie dies in der speziellen
Relativitäts-
theorie vorausgesetzt zu werden pflegt. In bezug auf dieses
System
bewege sich ein isolierter materieller Punkt gerad-
linig und gleichförmig, wie es von
Galilei vorausgesetzt wurde.
2. Äquivalenzprinzip. Ausgehend von diesem Grenzfall
der speziellen
Relativitätstheorie kann man sich fragen, ob
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1) Ann. d. Phys. 50. p. 955. 1916.
ein in dem betrachteten Gebiete relativ zu K gleichförmig
beschleunigter Beobachter
seinen Zustand als beschleunigt
auffassen muß, oder ob ihm nach den (angenähert)
bekannten
Naturgesetzen eine Auffassung übrig bleibt, vermöge derer
er
seinen Zustand als ,,Ruhe“ deuten kann. Präziser aus-
gedrückt: Erlauben uns
die in gewisser Annäherung bekannten
Naturgesetze ein in bezug auf K
gleichförmig beschleunigtes
Bezugssystem K' als ruhend zu betrachten? Oder etwas
all-
gemeiner: Läßt sich das Relativitätsprinzip auch auf relativ
zueinander
(gleichförmig) beschleunigte Bezugssysteme aus-
dehnen? Die Antwort lautet:
Soweit wir die Naturgesetze
wirklich kennen, hindert uns nichts daran, das
System K'
als ruhend zu betrachten, wenn wir relativ zu K' ein (in erster
Annäherung homogenes) Schwerefeld als vorhanden annehmen;
denn wie in einem
homogenen Schwerefeld, so auch in bezug
auf unser System K' fallen alle Körper
unabhängig vol ihrer
physikalischen Natur mit derselben Beschleunigung. Die
Voraussetzung, daß man in aller Strenge K' als ruhend
behandeln dürfe, ohne
daß irgendein Naturgesetz in bezug
auf K' nicht erfüllt wäre, nenne ich
,,Äquivalenzprinzip“.
3. Das Schwerefeld nicht nur kinematisch bedingt. Man
kann die vorige
Betrachtung auch umkehren. Sei das mit
dem oben betrachteten Schwerefelde
ausgestaltete System K'
das ursprüngliche. Dann kann man ein neues, gegen K' be-
schleunigtes Bezugssystem K einführen, mit Bezug auf welches
sich (isolierte) Massen
(in dem betrachteten Gebiete) gerad-
linig gleichförmig bewegen. Aber man darf nun
nicht weiter-
gehen und sagen: Ist K' ein mit einem beliebigen Gravitations-
feld
versehenes Bezugssystem, so ist stets ein Bezugssystem K
auffindbar, in bezug auf
welches sich isolierte Massen gerad-
linig gleichförmig bewegen, d. h. in bezug auf
welches kein
Gravitationsfeld existiert. Die Absurdität einer solchen Vor-
aussetzung
liegt auf der Hand. Ist das Gravitationsfeld in bezug
auf K' zum Beispiel das eines
ruhenden Massenpunktes, so läßt
sich dieses Feld für die ganze Umgebung des
Massenpunktes
gewiß durch kein noch so feines Transformationskunststück
hinwegtransformieren. Man darf also keineswegs behaupten,
das Gravitationsfeld
sei gewissermaßen rein kinematisch zu
erklären; eine ,,kinematische, nicht
dynamische Auffassung
der Gravitation“ ist nicht moglich. Durch bloße Trans-
formation aus einem Galileischen System in ein anderes durch
Beschleunigungstransformationen lernen wir also nicht be-
liebige Gravitationsfelder
kennen, sondern solche ganz spezieller
Art, welche aber doch denselben Gesetzen
genügen müssen
wie alle anderen Gravitationsfelder. Dies ist nur wieder eine
andere
Formulierung des Äquivalenzpinzips (speziell in seiner
Anwendung auf die
Gravitation).
Eine Gravitationstheorie verletzt also das Äquivalenz-
prinzip in dem Sinne, wie
ich es verstehe, nur dann, wenn
die Gleichungen der Gravitation in keinem
Bezugssystem K'
erfüllt sind, welches relativ zu einem galileischen Bezugs-
system
ungleichförmig bewegt ist. Daß dieser Vorwurf gegen
meine Theorie mit allgemein
kovarianten Gleichungen nicht
erhoben werden kann, ist evident; denn hier sind die
Glei-
chungen bezüglich eines jeden Bezugssystems erfüllt. Die
Forderung der
allgemeinen Kovarianz der Gleichungen umfat
die des Äquivalenzprinzips als ganz
speziellen Fall.
4. Sind die Kräfte des Gravitationsfeldes ,,reale“ Kräfte?
Kottler rügt es, daß ich
in den Bewegungsgleichungen
das zweite Glied als den Ausdruck des Einflusses des Schwere-
feldes auf den
Massenpunkt, das erste Glied gewissermaßen
als den Ausdruck der Galileischen
Trägheit interpretiere.
Dadurch würden ,,wirkliche Kräfte des Schwerefeldes“ ein-
geführt, was dem Geiste des Äquivalenzprinzipes nicht ent-
spreche. Hierauf antworte
ich, daß jene Gleichung als
Ganzes allgemein kovariant, also jedenfalls der
Äquivalenz-
hypothese gemäß ist. Die von mir eingeführte Benennung
der Teile ist
prinzipiell bedeutungslos und einzig dazu be-
stimmt, unseren physikalischen
Denkgewohnheiten entgegen-
zukommen. Dies gilt auch insbesondere von den
Begriffen
(Komponenten des Gravitationsfeldes) und t (Energie-
komponenten des
Gravitationsfeldes). Die Einführung dieser
Benennungen ist prinzipiell unnötig,
erscheint mir aber für
die Aufrechterhaltung der Kontinuität der Gedanken wenig-
stens einstweilen
nicht wertlos; deshalb habe ich diese Größen
eingeführt, trotzdem ihnen kein
Tensorcharakter zukommt.
Dem Äquivalenzprinzip aber ist stets Genüge geleistet,
wenn
die Gleichungen kovariant sind.
5. Es ist wahr, daß ich die allgemeine Kovarianz der
Gleichungen durch das
Aufgeben der gewöhnlichen Zeit-
messung und der Euklidischen Raummessung habe
erkaufen
müssen. Kottler glaubt ohne dies Opfer auskommen zu
können. Aber bereits
im Falle des von ihm betrachteten im
Bornschen Sinne relativ zu einem Galileischen
System be-
schleunigten Systems K' muß man auf die gewöhnliche Zeit-
messung
verzichten. Da ist vom Standpunkt der Relativitäts-
theorie der Gedanke schon
naheliegend, daß auch die ge-
wöhnliche Raummessung aufgegeben werden müsse.
Von
dieser Notwendigkeit wird sich Hr. Kottler sicherlich selbst
überzeugen, wenn er
die ihm vorschwebenden theoretischan
Pläne allgemein durchzuführen suchen
wird.
Oktober 1916.
(Eingegangen 19. Oktober 1916)
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