6. Zur allgemeinen molekularen Theorie
der Wärme;
von A. Einstein.
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Im folgenden gebe ich einige Ergänzungen zu einer letztes
Jahr von mir
publizierten Abhandlung.1)
Wenn ich von ,,allgemeiner molekularer Wärmetheorie“
spreche, so meine ich
damit eine Theorie, welche im wesent-
lichen auf den in § 1 der zitierten
Abhandlung genannten
Voraussetzungen beruht. Ich setze jene Abhandlung als
bekannt
voraus, um unnütze Wiederholungen zu vermeiden, und be-
diene mich
der dort gebrauchten Bezeichnungen.
Zuerst wird ein Ausdruck für die Entropie eines Systems
abgeleitet,
welcher dem von Boltzmann für ideale Gase ge-
fundenen und von Planck in
seiner Theorie der Strahlung
vorausgesetzten vollständig analog ist. Dann
wird eine ein-
fache Herleitung des zweiten Hauptsatzes gegeben. Hierauf
wird die Bedeutung einer universellen Konstanten untersucht,
welche
in der allgemeinen molekularen Theorie der Wärme
eine wichtige Rolle
spielt. Schließlich folgt eine Anwendung
der Theorie auf die Strahlung
schwarzer Körper, wobei sich
zwischen der erwähnten, durch die Größen der
Elementar-
quanta der Materie und der Elektrizität bestimmten universellen
Konstanten und der Größenordnung der Strahlungswellenlängen,
ohne
Zuhilfenahme speziellerer Hypothesen, eine höchst inter-
essante Beziehung
ergibt.
§ 1. Über den Ausdruck der Entropie.
Für ein System, welches Energie nur in Form von Wärme
aufnehmen kann,
oder mit anderen Worten, für ein System,
welches von anderen Systemen nicht
adiabatisch beeinflußt
wird, gilt zwischen der absoluten Temperatur T und der
Energie E, nach § 3 und § 4, l. c., die Gleichung:
| (1) |
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1) A. Einstein, Ann. d. Phys. 11. p. 170. 1903.
wobei x eine absolute Konstante bedeutet und (etwas ab-
weichend von der
zitierten Abhandlung) durch die Gleichung
definiert sei:
Das Integral rechts ist hierbei über alle Werte der den momen-
tanen Zustand des
Systems vollkommen und eindeutig definieren-
den Zustandsvariabeln zu
erstrecken, denen Werte der Energie
entsprechen, die zwischen E und E + E
liegen.
Aus Gleichung (1) folgt:
Der Ausdruck stellt also (unter Weglassung der willkürlichen
Integrationskonstanten)
die Entropie des Systems dar. Dieser
Ausdruck für die Entropie eines Systems gilt
übrigens keines-
wegs nur für Systeme, welche nur rein thermische Zustands-
änderungen erfahren, sondern auch für solche, welche beliebige
adiabatische und
isopyknische Zustandsänderungen durch-
laufen.
Der Beweis kann aus der letzten Gleichung von § 6, l. c.,
geführt werden; ich
unterlasse dies, da ich hier keine An-
wendung des Satzes in seiner allgemeinen
Bedeutung zu machen
beabsichtige.
§ 2. Herleitung des zweiten Hauptsatzes.
Befindet sich ein System in einer Umgebung von be-
stimmter konstanter
Temperatur T0 und steht es mit dieser
Umgebung in thermischer Wechselwirkung
(,,Berührung“), so
nimmt es ebenfalls erfahrungsgemäß die Temperatur T0 an
und
behält die Temperatur T0 für alle Zeiten bei.
Nach der molekularen Theorie der Wärme gilt jedoch
dieser Satz nicht streng,
sondern nur mit gewisser -- wenn
auch für alle der direkten Untersuchung
zugänglichen Systeme
mit sehr großer -- Annäherung. Hat sich vielmehr das be-
trachtete System unendlich lange in der genannten Umgebung
befunden, so ist die
Wahrscheinlichkeit W dafür, daß in einem
beliebig heransgegriffenen Zeitpunkt der Wert der Energie des
Systems sichz
wischen den Grenzen E und E + 1 befindet (§ 3, l c.):
wobei C eine Konstante bedeutet. Dieser Wert ist für jedes E
ein von Null
verschiedener, hat jedoch für ein bestimmtes E
ein Maximum und nimmt --
wenigstens für alle der direkten
Untersuchung zugänglichen Systeme -- für jedes
merklich
größere oder kleinere E einen sehr kleinen Wert an. Wir
nennen das
System ,,Wärmereservoir“ und sagen kurz: obiger
Ausdruck stellt die
Wahrscheinlichkeit dafür dar, daß die
Energie des betrachteten Wärmereservoirs
in der genannten
Umgebung den Wert E hat. Nach dem Ergebnis des vorigen
Paragraphen kann man auch schreiben:
wobei S die Entropie des Wärmereservoirs bedeutet.
Es mögen nun eine Anzahl Wärmereservoirs vorliegen,
welche sich sämtlich in
der Umgebung von der Temperatur T0
befinden. Die Wahrscheinlichkeit dafür,
daß die Energie des
ersten Reservoirs den Wert E1, des zweiten den Wert E2...
des
letzten den Wert El besitzt, ist dann in leicht verständ-
licher Bezeichnung:
| (a) |
Diese Reservoirs mögen nun in Wechselwirkung treten
mit einer Maschine,
wobei letztere einen Kreisprozeß durch-
läuft. Bei diesem Vorgange finde weder
zwischen Wärme-
reservoirs und Umgebung noch zwischen Maschine und Um-
gebung ein Wärmeaustausch statt. Nach dem betrachteten
Vorgange seien die
Energien und Entropien der Systeme:
bez.
Dem Gesamtzustande der Wärmereservoirs, welcher durch
diese Werte definiert
ist, kommt die Wahrscheinlichkeit zu:
| (b) |
Bei dem Vorgange hat sich weder der Zustand der Um-
gebung noch der
Zustand der Maschine geändert, da letztere
einen Kreisprozeß durchlief.
Nehmen wir nun an, daß nie unwahrscheinlichere Zu-
stände auf wahrscheinlichere
folgen, so ist:
Es ist aber auch nach dem Energieprinzip:
Berücksichtigt man dies, so folgt aus Gleichungen (a) und (b):
§ 3. Über die Bedeutung der Konstanten x in der kinetischen
Atomtheorie.
Es werde ein physikalisches System betrachtet, dessen
momentaner Zustand
durch die Werte der Zustandsvariabeln
vollständig bestimmt sei.
Wenn das betrachtete System mit einem System von relativ
unendlich großer
Energie und der absoluten Temperatur T0
in ,,Berührung“ steht, so ist dessen
Zustandsverteilung durch
die Gleichung bestimmt:
In dieser Gleichung ist x eine universelle Konstante, deren
Bedeutung nun
untersucht werden soll.
Unter Zugrundelegung der kinetischen Atomtheorie gelangt
man auf
folgendem, aus Boltzmanns Arbeiten über Gas-
theorie geläufigen Wege zu einer
Deutung dieser Konstanten.
Es seien die p die rechtwinkligen Koordinaten x1 y1 z1,
x2 y2..., xn yn zn
und 1 1 1, 2 2 ..., n n n die Geschwindigkeiten
der einzelnen (punktförmig gedachten) Atome des Systems.
Diese Zustandsvariabeln
können gewählt werden, weil sie der
Bedingung
/ p = 0 Genüge leisten
(l. c., § 2). Man
hat dann:
wobei der erste Summand die potentielle Energie, der zweite
die lebendige Kraft
des Systems bezeichnet. Sei nun ein
unendlich kleines Gebiet dx1...dzn gegeben.
Wir finden
den Mittelwert der Größe
welcher diesem Gebiete entspricht:
Diese Größe ist also unabhängig von der Wahl des Gebietes
und von der Wahl des
Atoms, ist also überhaupt der Mittel-
wert des Atoms bei der absoluten
Temperatur T0. Die Größe 3 x
ist gleich dem Quotienten aus der mittleren
lebendigen Kraft
eines Atoms in die absolute Temperatur.1)
Die Konstante x ist ferner aufs engste verknüpft mit der
Anzahl N der
wirklichen Moleküle, welche in einem Molekül
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1) Vgl. L. Boltzmann, Vorl. über Gastheorie 2. § 42. 1898.
im Sinne des Chemikers (Äquivalentgewicht bezogen auf 1 g
Wasserstoff als
Einheit) enthalten sind.
Liege nämlich eine solche Quantität eines idealen Gases
vor, so ist bekanntlich,
wenn Gramm und Zentimeter als Ein-
heiten benutzt werden
Nach der kinetischen Gastheorie ist aber:
wobei L den Mittelwert der lebendigen Kraft der Schwerpunkts-
bewegung eines
Moleküles bedeutet. Berücksichtigt man
noch, daß
so erhält man:
Die Konstante 2 x ist also gleich dem Quotienten der Kon-
stanten R in Anzahl
der in einem Äquivalent enthaltenen
Moleküle.
Setzt man mit O. E. Meyer N = 6, 4 . 1023, so erhält
man x = 6, 5 . 10-17.
§ 4. Allgemeine Bedeutung der Konstanten x.
Ein gegebenes System berühre ein System von relativ
unendlich großer Energie
und der Temperatur T. Die Wahr-
scheinlichkeit dW dafür, daß der Wert seiner
Energie in einem
beliebig herausgegriffenen Zeitpunkte zwischen E und E + dE
liegt, ist:
Für den Mittelwert von E erhält man:
Da ferner
so ist
Differenziert man diese Gleichung nach T, so erhält man:
Diese Gleichung besagt, daß der Mittelwert der Klammer ver-
schwindet,
also:
Im allgemeinen unterscheidet sich der Momentanwert E der
Energie von
um eine gewisse Größe, welche wir ,,Energie-
schwankung“ nennen; wir
setzen:
Man erhält dann
Die Größe 2 ist ein Maß für die thermische Stabilität des
Systems; je größer 2,
desto kleiner diese Stabilität.
Die absolute Konstante x bestimmt also die thermische
Stabilität der
Systeme. Die zuletzt gefundene Beziehung ist
darum interessant, weil in derselben
keine Größe mehr vor-
kommt, welche an die der Theorie zugrunde liegenden An-
nahmen erinnert.
Durch wiederholtes Differenzieren kann man ohne Schwierig-
keit die Größen
3, 4 etc. berechnen.
§ 5. Anwendung auf die Strahlung.
Die zuletzt gefundene Gleichung würde eine exakte Be-
stimmung der
universellen Konstanten x zulassen, wenn es
möglich wäre, den Mittelwert des
Quadrates der Energie-
schwankung eines Systems zu bestimmen; dies ist
jedoch bei
dem gegenwärtigen Stande unseres Wissens nicht der Fall.
Wir können überhaupt nur bei einer einzigen Art physi-
kalischer Systeme aus der
Erfahrung vermuten, daß ihnen eine
Energieschwankung zukomme; es ist dies der
mit Temperatur-
strahlung erfüllte leere Raum.
Ist nämlich ein mit Temperaturstrahlung erfüllter Raum
von Lineardimensionen,
welche sehr groß gegen die Wellen-
länge ist, der das Energiemaximum der
Strahlung bei der be-
treffenden Temperatur zukommt, so wird offenbar
der Betrag
der Energieschwankung im Mittel im Vergleich zur mittleren
Strahlungsenergie dieses Raumes sehr klein sein. Wenn da-
gegen der
Strahlungsraum von der Größenordnung jener
Wellenlänge ist, so wird die
Energieschwankung von derselben
Größenordnung sein, wie die Energie der
Strahlung des
Strahlungsraumes.
Es ist allerdings einzuwenden, daß wir nicht behaupten
können, daß ein
Strahlungsraum als ein System von der von
uns vorausgesetzten Art zu
betrachten sei, auch dann nicht,
wenn die Anwendbarkeit der allgemeinen
molekularen Theorie
zugestanden wird. Vielleicht müßte man zum Beispiel die
Grenzen des Raumes als mit den elektromagnetischen Zu-
ständen desselben
veränderlich annehmen. Diese Umstände
kommen indessen hier, wo es sich nur
um Größenordnungen
handelt, nicht in Betracht.
Setzen wir also in der im vorigen Paragraphen gefundenen
Gleichung
und nach dem Stefan-Boltzmannschen Gesetze
wobei v das Volumen in cm3 und c die Konstante dieses Ge-
setzes bedeutet, so
müssen wir für einen Wert von der
Größenordnung der Wellenlänge
maximaler Strahlungsenergie
erhalten, welche der betreffenden Temperatur
entspricht.
Man erhält:
wobei für x der aus der kinetischen Gastheorie gefundene
Wert und für c der Wert
7,06 . 10-15 gesetzt ist.
Ist m die Wellenlänge des Energiemaximums der Strahlung,
so liefert die
Erfahrung:
Man sieht, daß sowohl die Art der Abhängigkeit von der
Temperatur als auch
die Größenordnung von m mittels der
allgemeinen molekularen Theorie der
Wärme richtig bestimmt
werden kann, und ich glaube, daß diese Übereinstimmung
bei
der großen Allgemeinheit unserer Voraussetzungen nicht dem
Zufall
zugeschrieben werden darf.
Bern, den 27. März 1904.
(Eingegangen 29. März 1904.)
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