<date/><place/><translator/><lang>de</lang><cvs_file/><cvs_version/><locator/><filename>Reichenbach_an_MS_19220118.html</filename></info><text><pb/> <p type="place" id="id8195504">Stuttgart, </p> <p type="date" id="id8195576">18. 1. 22</p> <p type="address" id="id8195648">Knospstr. 5</p> <p type="title" id="id8195792">Sehr geehrter Herr Schlick,</p> <p type="main" id="id8195864">einliegend sende ich Ihnen eine neue<lb/> Veröffentlichung<note id="id8196008" n="1"><p type="main" id="id7942192"> Hans Reichenbach, „Bericht über eine Axiomatik der Einsteinschen Raum-Zeitlehre', in: Physikalische Zeitschrift, Jg. 22, 1921, S.683-687.</p></note> von mir. Es ist ein Bericht über<lb/> eine längere Arbeit, die jetzt ihrer Vollendung<lb/> entgegengeht, und später in Buchform erscheinen<lb/> soll; bis dahin wird allerdings wohl ein halbes<lb/> Jahr vergehen. Ich glaube, dass die axiomatische<lb/> Analyse Sie besonders interessieren wird.<lb/> Sie liefert natürlich eine Bestätigung des<lb/> Conventionalismus, aber sie deckt auch jene<lb/> Tatsachen auf, an denen auch der Conventio-<lb/> nalimus nichts interpretieren kann. Besonders<lb/> merkwürdig ist es, dass es möglich war, die<lb/> starren Massstäbe u. Uhren völlig zu eliminieren.<lb/> Ich konnte allein durch Benutzung von<lb/> Lichtsignalen die ganze Metrik definieren. Das ist<pb/> natürlich auch eine <emph type="underline">Real</emph>definition, aber es zeigt<lb/> sich eben, dass das Licht als Realität genügt, es<lb/> vermag sogar die Starrheit zu definieren. Von<lb/> besonderem Interesse sind auch meine Resultate<lb/> zum Problem der absoluten Zeit; ein vorläufiger<lb/> Bericht darüber soll demnächst an anderer Stelle<lb/> erscheinen.<lb/></p> <p type="main" id="id7943848">Darf ich Sie bei dieser Gelegenheit um<lb/> eine Hilfeleistung bitten? Ich bin hier in<lb/> Stuttgart ziemlich abgeschnitten von allen Kreisen,<lb/> die sich für exakte Naturphilosophie interessieren.<lb/> An der Technischen Hochschule finden sich<lb/> immer nur sehr wenig Zuhörer für tiefergehende<lb/> Fragen; die meisten sind mit technischen<lb/> Arbeiten überlastet. Ich würde nun sehr gern<lb/> einmal in einem fachlich interessierten Kreis<lb/> über meine neue Arbeit vortragen. Sollte sich<pb/> dazu vielleicht in Kiel eine Gelegenheit<lb/> finden? Es würde mich besonders freuen,<lb/> wenn ich dabei auch einmal mit Ihnen<lb/> persönlich über diese Fragen sprechen<lb/> könnte.<lb/></p> <p type="main" id="id7945000">Ich habe jetzt in einem philosophischen<lb/> Seminar Ihre Erkenntnislehre<note id="id7945144" n="2"><p type="main" id="id7945216"> Moritz Schlick, Allgemeine Erkenntnislehre. Berlin: Springer 1918.</p></note> zur<lb/> Grundlage der Diskussion gemacht und<lb/> freue mich über den Erfolg. Das Buch ist in<lb/> seiner klaren Schreibweise vorzüglich dafür<lb/> geeignet, und selbst meine schwerfälligen Techniker<lb/> kommen dadurch in die Grundprobleme<lb/> der Philosophie hinein.</p> <p type="salutation" id="id7945720">Ich bin, mit ergebenem Gruss<lb/></p> <p type="salutation" id="id7945864">Ihr<lb/></p> <p type="salutation" id="id7946008">H. Reichenbach</p> </text></archimedes>