Stuttgart,
1. 3. 22
Knospstr. 5
Sehr verehrter Herr Schlick,
ich muss um Entschuldigung Moritz Schlick an Hans Reichenbach, Kiel, 27.01.1922.
bitten, dass ich Ihren liebenswürdigen
Brief
durch rückständige literarische Schulden
so sehr in Anspruch genommen, dass ich
gar nicht zum Schreiben kam. Für Ihr
freundliches Eingehen auf meinen Vorschlag,
in Ihrem Kreis vorzutragen, bin ich
Ihnen sehr dankbar. Es ist ja sehr schade,
philosophisch interssierten Kurse existieren.
So würde ich nicht gut über meine eigenen
letzten Arbeiten vortragen können, die
ja eine tiefere Kenntnis der Theorie
bereits voraussetzen; und ein allgemeiner
gehaltener Vortrag wird in einer Stadt, wo
Sie selbst wirken, nicht viel Neues mehr
zu bringen haben. Eine Möglichkeit würde
sich vielleicht im Sommer dadurch eröffnen,
dass ich nach Frankfurt zu einem Vortrag
Frankfurt noch eine sehr weite Strecke,
sodass die Reisekosten immer noch sehr
hoch sind.
Es freute mich sehr, zu hören, dass
Sie nach Wien gehen werden. Sie werden dort
wohl ein schönes Tätigkeitsfeld finden, und
als Nachfolger Machs werden Sie Gelegenheit
zu naturphilosophischer Lehrtätigkeit wohl
reichlich haben. Dass Sie in Leipzig vortragen
werden, ist im Interesse der Physiker
sehr erfreulich; ich denke selbst auch
Mein Bericht über meine Axiomatik Hans Reichenbach, „Bericht über eine Axiomatik der Einsteinschen Raum-Zeitlehre', in: Physikalische Zeitschrift, Jg. 22, 1921, S.683-687. Hans Reichenbach, „Der gegenwärtige Stand der Relativitätstheorie. Eine kritische Untersuchung, in: Logos, Jg. 10, 1921, S.316-378.
ist wohl in der Tat so kurz, dass man
die Probleme darin nicht recht übersehen
kann. Die längere Veröffentlichung,
die in Buchform erscheinen soll, wird
sich leider noch hinausziehen. Ich bin
mit der allgemeinen Theorie noch nicht
fertig, und möchte erst alles heraus-
bringen, wenn es vollständig ist; aber ich
werde vermutlich in den nächsten Monaten
wieder sehr wenig Zeit für meine eigenen
übersehen, wann ich fertig werde. Dagegen
werde ich Ihnen nächstens eine Arbeit
schicken, die ich für den Logos geschrieben
habe, in der ich die gesamte philosophische
Relativitätsliteratur einer kritischen
Durchsicht unterzogen habe.
Jetzt muss ich Sie auch noch wegen Hermann von Helmholtz, Schriften zur Erkenntnistheorie. Hrsg. u. erläutert von Paul Hertz und Moritz Schlick, Berlin: Springer 1921.
einer anderen Sache um Entschuldigung
bitten. Ich bekam Ihr Helmholtz-Buch
zur Rezension zugesandt, und bemerkte
gar nicht, dass ich mich nach einiger Zeit
Rezension verpflichtet hatte. Es handelt
sich um die Z.S. f. angewandte Psychologie,
für Physiologie, elektrotechnische Z.S.
und die physikal. Berichte. Zum Absagen
war es zu spät, und so musste ich denn
4 mal referieren. Das ist ja nun eigentlich
nicht der Zweck der Referate, dass überall
derselbe Referent zum Wort kommt und
wahrscheinlich ist es auch Ihnen garnicht
angenehm. Aber es war mir natürlich auch
ein Vergnügen, dieses schöne Buch, das Sie
und Herr Hertz mit so gründlichen
Öffentlichkeit zu empfehlen.
Ich bin mit bestem Gruss
Ihr sehr ergebener
H. Reichenbach