Hans Reichenbach an Moritz Schlick
Dr. HANS REICHENBACH
STUTTGART-OSTHEIM
TECKSTRASSE 75, 3. 6. 23.
Sehr verehrter Herr Schlick,
ich bitte sehr um Entschuldigung, dass ich Moritz Schlick an Hans Reichenbach, Wien, 26. März 1923.
erst nach so langer Pause auf Ihren Brief
Ich wollte aber erst in der Zeitschrift-Sache zu einem
klaren Entschluss gekommen sein. Damit steht es
nun sehr günstig. Ich war dieser Tage bei Springer in
Berlin und habe mit ihm den Plan besprochen.
Springer hat grosse Lust zu dem Plan, sodass ich sehr
überrascht war. Er würde offenbar gern die philosophischen
Kreise, die für die moderne Philosophie in Frage kommen,
zusammenfassen. Den Plessnerischen Vorschlag hat er
abgelehnt, weil ihm diese Leute nicht gut genug
bekannt waren. Mit unserer Richtung scheint er
es dagegen gern zu machen. Besonders wertvoll ist
dabei gerade auch Ihre Bereitschaft zur Mitarbeit,
Auch ich bin durchaus Ihrer Ansicht, dass
die Zeitschrift international gemacht werden muss, und
ich habe auch Springer davon überzeugt. Freilich meint
er, dass angesichts der gegenwärtigen Lage Zurückhaltung
geboten sei, aber mit der Aufnahme von Arbeiten in
englischer Sprache ist er einverstanden. Kopf und Titel
müssen natürlich deutsch sein, wie ja auch das
Schwergewicht wohl zunächst in Deutschland liegen
wird. Um englische u. amerikanische Mitarbeit wird
es sich ja wohl auch hauptsächlich handeln. Es
trifft sich gut, dass z.Zt. Carnap auf einer privaten
Reise in Amerika ist. Er schrieb mir den einliegenden
Brief, aus dem Sie manch Interessantes ersehen werden.
Ich habe auch Springer daraus einiges vorgelesen.
Nach diesem ermutigenden Anfang möchte Bertrand Russell, Our knowledge of the external world as a field for scientific method in philosophy. London: Allen and Unwin 1922.
ich nun ernsthaft an die Vorbereitungen gehen. Die
Angelegenheit darf erst öffentlich werden, wenn alles
tadellos vorbereitet ist. Es müssen die Arbeiten für die
Namen muss auf dem Titelblatt als Mitarbeiter genannt
sein. Die erste Aufgabe ist also die Gewinnung dieser
Namen. Mit Einstein habe ich schon gesprochen, er ist
sehr einverstanden. An Hilbert schreibe ich heute.
Ich möchte Sie bitten, an Russell zu schreiben. Ich
teile Ihr Urteil über ihn vollkommen und bewundere
auch die von Ihnen genannten Worte aus der „external
world“
Es wäre überaus wertvoll, wenn er als Mitarbeiter
genannt werden könnte. Kennen Sie die von Carnap
genannten Young und Huntington? Ich werde
Carnap schreiben, dass er mit ihnen die Verbindung
fortführt. Kennen Sie den Namen Dorothy Wrinch?
Ich las einige nicht uninteressante Arbeiten von ihr.
Ich möchte Sie sehr bitten, mir noch englische u.
amerikanische Namen vorzuschlagen, mit denen
ich korrespondieren könnte. Vielleicht können
Sie auch durch Russell Vorschläge erhalten.
Nun in Deutschland. Ich habe mit
Köhler (Berlin) gesprochen. Ich glaube, dass er zu unserer
Richtung gehört, wenn ich auch die Gestaltpsychologie
nicht voll mitmachen kann. Er ist ein sehr frei
und selbständig denkender Mensch und das Gemeinsame
ist, dass es ihm ebenfalls auf die Arbeit am konkreten
Problem ankommt. Köhler ist sehr gern dabei. Mit Wertheimer, den ich in
meinem eiligen Berliner Aufenthalt nicht sprechen
konnte, will ich noch korrespondieren. Ferner auch
mit Cassirer. Springer schlug Jaspers vor. Was
meinen Sie dazu? Er ist doch sehr weit von unserer
Einstellung. Aber er hat einen guten Instinkt.
Ich möchte diesen Kreis der auf dem
Titel genannten Mitarbeiter sehr weit ziehen.
Die endgültige Auswahl können wir natürlich
heute noch nicht treffen, und ich wäre Ihnen fü
r weitere Vorschläge sehr dankbar und möchte Sie
bitten, auch in Ihrem Kreis Rücksprache zu nehmen,
wo es Ihnen geeignet erscheint. Im übrigen ist der Plan natürlich noch vertraulich.
Als weitere Mitarbeiter kommen
Ausser dem weiteren Kreis soll auf dem
Titel die Redaktionskommission genannt sein.
Dies ist nun der schwerste Punkt. Sie darf nur 4-5
Herren umfassen. Aber eine Kommission muss
es schon deswegen sein, damit niemals ein einzelner
Schuld ist, wenn ein Manuskript abgelehnt wird.
Für Spezialgebiete wird die Kommission jeweils
Fachleute zu Rate ziehen. Ich möchte nun als
Mitglieder dieser Kommission vorschlagen: Sie, Lewin,
und ich. Mit Lewin, den Sie wohl nur aus seinem
Buch kennen, bin ich schon seit Jahren befreundet
und ich habe auch jetzt viel mit ihm besprochen.
Er gehört ganz zu unserer Arbeitsrichtung. Wir 3
sind aber noch zu wenig. Was würden Sie dazu sagen,
Köhler zu bitten? Ausserdem weiss ich niemand,
hätte aber gern noch jemand. Jaspers? Ich glaube,
hierfür käme er wohl nicht in Frage. Gut wäre es,
wenn noch ein nicht so naturwissenschaftlich
orientierter Philosoph dabei wäre. Oder genügen wir 3?
Der Umfang der Zeitschrift soll nicht auf
Naturphilosophie oder Erk.Th. beschränkt sein, wenn
zunächst auch wohl die meisten Arbeiten von hier
kommen werden. Der Titel muss sehr allgemein sein.
„Abhandlungen zur Theorie der Erkenntnis“ ist
Springer zu eng. „Zeitschrift für exakte Philosophie“
sagt was wir wollen, geht aber wohl nicht. Aber
das und auch die Druckform u.s.w. ist erst später
zu entscheiden.
Ich denke, dass wir nach den ersten
Vorbereitungen durch Korrespondenz einen
gedruckten Prospekt versenden und um Mitarbeit
bitten. Bis zum Erscheinen des ersten Heftes kann
noch 1 Jahr vergehen.
Sehr gern würde ich mit Ihnen mündlich
sprechen. Findet sich vielleicht im August dazu Gelegenheit?
Das Hautproblem ist wohl zunächst die Redaktionskommission.
Denn auf gute und strenge Auswahl der Manuskripte kommt
alles an. Das wissenschaftliche Niveau ist das endgültig
Entscheidende, und wir wollen hier den Gegensatz zu den
bisherigen philos. Zeitschriften bewusst aufnehmen.
Ein Bericht über die Erlanger Tagung soll gemacht
werden, den erhalten Sie dann. -
Mit besten Grüssen Ihr
Hans Reichenbach