Hans Reichenbach an Moritz Schlick
Mit herzlichem Gruss!
Reichenbach.
Bericht über eine Besprechung zwischen
den Herren Schlick und Reichenbach in Mittenwald, August 1923.
1) Nachdem die Herren Köhler und Lewin bereit sind, in das Herausgeberkolle-
gium der neuen philosophischen Zeitschrift einzutreten, und die Diskussion
aller anderen Vorschläge zu negativem Resultat geführt hat, wird in Über-
einstimmung mit Köhler vorgeschlagen, vorerst mit diesem Kollegium zu begin-
nen. Vielleicht findet sich später ein Vertreter der Philosophie der Geistes-
wissenschaften, den das Kollegium kooptieren möchte. Sehr erwünscht wäre der
Eintritt von Russell, der vor allem auch zur Beurteilung englischer Manuskrip
te gebeten würde. Schlick schreibt an ihn. Wenn er zusagt, würde das Kollegium
also aus den 5 Herren bestehen: Köhler, Lewin, Reichenbach, Russell, Schlick.
Im Oktober soll in Berlin eine Besprechung stattfinden, an der möglichst
alle diese Herren beteiligt sind und bei der auch Herr Springer anwesend ist.
Reichenbach schreibt deswegen an Springer; auch Schlick hofft, kommen zu
können.
2) Gegen den von Reichenbach und Schlick vorgeschlagenen Namen „Zeitschrift
für exakte Philosophie“ wurde von Köhler der Einwand erhoben (ähnlich auch
von Wertheimer), dass das Wort exakt einen unschönen Beigeschmack nach Pedan-
terie und allzu billiger Klarheit hätte. Dem ist entgegenzuhalten, dass es
kaum eine sachliche Bezeichnung gibt, die nicht auch einen unangenehmen
Beigeschmack hätte, und dass die Bedeutung eines solchen Wortes sicher erst mit
dem Inhalt der Zeitschrift festlegen wird. Gegen eine formale Bezeichnung wie
„Z. f. Philos.“ spricht, dass mit dieser Gründung zugleich eine Arbeitsrich-
tung bezeichnet sein soll, und dass man von vornherein eine deutliche Abgren-
zung gegen gewisse andere philosophische Richtungen nötig hat, um die weiten
Kreise der exakten Naturwissenschaftler für die neue Richtung zu gewinnen,
nachdem sie von der herrschenden Philosophie gründlich abgestossen wurden.
Schliesslich ist exakt ein Schlagwort, das sich mit gutem Inhalt füllen lässt;
es soll keineswegs die Beschränkung auf Logistik bedeuten (darum wird die
englische Bezeichnung „mathematische Philos.“ abgelehnt), Schlicks Erkenntnis-
lehre und Köhlers „Gestalten“ sind ebenfalls Beispiele exakter Philosophie.
3) Während ursprünglich geplant war, auf dem Titel auch eine Liste der weiteren Mitarbeiter anzugeben, die bekannte Namen enthalten soll, sind wir von diesem Vorschlag abgekommen. Es ist sehr schwer, hier die richtige Auswahl zu treffen, man würde zu gewissen Rücksichten gezwungen sein, und dadurch würde wieder die Stosskraft des Unternehmens leiden, Der beabsichtigte Zweck lässt sich auch dadurch erreichen, dass schon die ersten Hefte möglichst bekanntere Namen als Verfasser enthalten.
4) Es wird gebeten, sogleich mit der Gewinnung von Manuskripten zu beginnen für die ersten Hefte. Als letzter Termin der Einlieferung wird vorläufig der 1. Dez. des Jahres aufgestellt. Längeres Warten erscheint unzweckmässig, da sonst diejenigen benachteiligt werden, die früher einsenden; auch bringt Warten an sich keinen Gewinn. Jeder der Herren wird gebeten, in seinem Bekanntenkreis nach Manuskripten zu fragen, oder Vorschläge mit Namen an Reichenbach zu senden; bei dieser Gewinnung von Personen ist zunächst kritische Auswahl nicht notwendig, die kommt erst bei den Manuskripten. Sammlung der Arbeiten bei Reichenbach.
5) Neben den Zeitschriftenheften wir die Herausgabe von „Beiheften“ geplant. Sie sollen längere Arbeiten aufnehmen, die selbständigen Charakter tragen (Monographien), und ausserdem zusammenfassende Darstellungen einzelner Gebiete (z.B. Logistik). Auch hierfür wird um Manuskripte gebeten, zum gleichen Termin.
6) Es wird vorgeschlagen, die Geschäftsführung in Reichenbachs Hände zu legen. Sollten in Berlin besondere Arbeiten nötig werden, so hat sich Lewin zur Uebernahme bereit erklärt. Damit der Geschäftsverkehr nicht zu schleppend wird, wird folgender Vorschlag gemacht: alle MS gehen zunächst direkt an Reichenbach. Dieser lehnt die zweifellos unbrauchbaren ab, nimmt die zweifellos guten an, und schickt nur die zweifelhaften herum. Jeder schreibt seinen
eine Mitteilung an die andern Herausgeber.
Fühlt sich das Herausgeberkollegium im Einzelfalle zur Beurteilung
nicht zuständig, so werden andere Herren um Gutachten gebeten (z.B. Hilbert,
Schaxel (?), Cassirer, weitere Vorschläge erbeten). Ev. schickt Reichenbach
von vornherein die Arbeit an einen dieser Herren und sendet sie mit dessen
Gutachten herum. Die Entscheidung behält aber immer das Herausgeberkollegium.
Jedoch wird vorgeschlagen, von einer offiziellen Organisation in Fachkommis-
sionen abzusehen (Vorschlag Lewin), damit nicht zuviel organisiert wird.
7) Eine offizielle Gründung mit bindenden Abmachungen soll im Oktober
auf der Berliner Versammlung stattfinden.
Reichenbach