Hans Reichenbach an Moritz Schlick
Dr. HANS REICHENBACH
STUTTGART-OSTHEIM
TECKSTRASSE 75
24. 10. 23.
Lieber Herr Schlick,
einliegend schicke ich Ihnen einen Bericht über die
Berliner Besprechung. Sie werden daraus alles Wichtige
ersehen können. Ich habe immerhin erreicht, dass Springer
mir die offizielle Zusicherung gegeben hat, den Verlag zu
übernehmen. Es war überhaupt sehr gut, dass die Besprechung
stattfand, denn nun ist die Zs. sozusagen offiziell
gegründet. Die Besprechung war viel umfangreicher, als
aus dem Bericht hervorgeht, u. es war schon sehr schade,
dass Sie nicht dabei waren. Ich hatte nämlich inbezug
auf das Herausgeberkollegium (Punkt 3) einen schweren
Stand gegen Köhler. Ich bin ja auch für einen Geistes-
wissenschaftler, aber wenn wir keinen finden, so sollten
wir doch lieber allein anfangen. Vor allem sehe ich gar
keine Möglichkeit, bis Weihnachten eine geisteswissen-
schaftliche Arbeit zu erhalten. Köhler hatte natürlich
breite Basis zu stellen. Aber ich halte es für sehr gefährlich,
wenn wir mit dem Geisteswissenschaftler einen Mann
hineinbekommen, mit dem wir ewig Differenzen haben,
oder dem zu liebe wir Ms. aufnehmen müssen, die
wir eigentlich nicht verantworten können. Mit Ihnen
zusammen hätte ich Springer doch vielleicht überzeugen
können, dass eine einheitliche und stosskräftige Redaktion
mehr Aussicht hat als eine Zusammenfassung aller
möglichen Richtungen. Nun bin ich vor die dornen-
volle Aufgabe gestellt, mit Heidegger, Jaspers u.s.w.
Verbindung anzuknüpfen; viel Hoffnung habe ich
dabei nicht.
Von Schjelderup erhielt ich zusagende Antwort, aber
er berichtet mir von einer skandinavischen Zs, die eine
Art Konkurrenz für uns ist. Das ist natürlich schade.
Ich habe ihn gebeten, mir einige Nummern davon zur
Einsicht zu schicken. Er schreibt, er könnte kaum Ms.
bekommen deshalb; er publiziert ja auch wohl selbst darin.
Ob wir ihn trotzdem bitten, in das Herausgeberkollegium
einzutreten? Es bleibt wohl doch das beste. Seine philos.
Richtung würde mir zusagen. - Herzl. Grüsse! Ihr
Hans Reichenbach
Bericht über die Berliner Besprechung vom 19. 10. 23
zur Gründung der Zeitschrift
für philosphische Forschung.
Anwesend:Dr. Ferd. Springer
Dr. A. Berliner
Prof. W. Köhler
Dr. K. Lewin
Dr. H. Reichenbach
1) Gegen den Titel Zs. f. exakte Philos. werden von Köhler die Einwände erhoben,
die schon in dem Bericht aus Mittenwald ewähnt wurden. Auch Berliner ist
gegen „exakt“, ebenso Lewin. Reichenbach wünscht einen Titel, in dem die Ab-
grenzung gegen die nur referierenden und vergleichenden Darstellungen der an-
dern philosophischen Zs. zum Ausdruck kommt, und ist deshalb für „exakt“. Er
gibt andrerseits zu, dass jede sachliche Bezeichnung wie „exakt“ möglicherweise
eines Tages zu eng wird, weil es immer einmal eine gute philosophische Arbeit
geben kann, die nicht „exakt“ ist. Befürchtet man dies, so ist ein rein for-
maler Titel vorzuziehen, z.B. „Philosophische Zs.“ Springer schlägt vor „Zs.
f. philos. Forschung“. Reichenbach hat Bedenken, weil das Wort Forschung schon
von der „Psychologischen Forschung“ angewandt worden ist. Man einigt sich jedoch
auf „Zs. f. philos. Forschung“; in „Forschung“ soll die Arbeitsweise ausgedrückt
liegen.
2) Springer bittet um Urteile über die sachliche Notwendigkeit der Zs. Köhler
weist darauf hin, dass etwas Ähnliches nicht besteht, und dass eine Entwick-
lung der Philosophie in wirklich produktiver Richtung überaus wünschenswert
wäre. Die Psyfo habe schon bei ihrer Gründung die Notwendigkeit solcher philo-
sophischer Arbeiten anerkannt, müsse sich aber in der Hauptsache auf psycho-
logische Arbeiten beschränken. Reichenbach betont, dass das Interesse für eine
sachlich gerichtete Philosophie im Wachsen begriffen ist, und dass weite Kreise,
besonders in der Naturwissenschaft, mit der akademischen Schulphilosophie
unzufrieden sind. Bisher aber wurden die sachlich gerichteten Arbeiten nicht
schriften, wo sie zu Unrecht nach ihrem im allgemeinen geringen mathematisch-
physikalischen Wert, und leider nicht nach ihrem philosophischen Wert beurteilt
wurden. Erst die Zusammenfassung dieser Arbeiten kann der wirklichen Forschungs-
arbeit auf diesem Gebiet zur Anerkennung verhelfen. Auch Berliner ist von dem
sachlichen Wert einer solchen Gründung überzeugt. Reichenbach übernimmt es, einen
kurzen Programmentwurf zu verfassen, der in das erste Heft soll und zugleich
für Verlagsanzeigen dienen kann.
3) Als Herausgeber sind bisher gewonnen: Köhler, Lewin, Reichenbach, Russell,
Schlick. Ausserdem ist an Schjelderup geschrieben worden. Köhler hält es für
äusserst wichtig, einen Vertreter der Geisteswissenschaften hinzuziehen. Die
Zs. soll auf ganz breite Basis gestellt werden. Geisteswissenschaftliche Arbeiten
wird man aber nur erwerben können, wenn unter den Herausgebern auch ein Geistes-
wissenschaftler ist. Möglichst das erste Heft soll schon eine geisteswissen-
schaftliche Arbeit enthalten. Reichenbach und Lewin stimmen grundsätzlich zu,
nur sei es schwer, den geeigneten Herrn zu finden. Reichenbach weist darauf hin,
dass das Herausgeberkollegium zusammenarbeiten muss, und dass die Gefahr ernste
rer Differenzen besteht, wenn der Vertreter der Geisteswissenschaften allzu-
sehr von der Grundeinstellung der andern Herausgeber abweicht. Die Zeitschr.
darf nicht in zwei getrennte Teile zerfallen, die mit einander nichts zu tun
haben. Eine gewisse innere Reibung ist gut, wenn sie fruchtbar ist, sie kann
aber auch lähmen. Es kommt deshalb alles darauf an, einen geeigneten Vertreter
der Geisteswissenschaften zu finden. Durchgesprochen werden: Jaspers, Heidegger,
Freyr, Geiger, Nicolai Hartmann, Spranger Scholz; jedoch ohne dass auch nur einer
der Anwesenden für einen von diesen mit Sicherheit eintreten könnte. Es wird
beschlossen, zunächst mit einigen der Genannten Fühlung aufzunehmen, ohne dass
dabei von Teilnahme am Herausgeberkollegium gesprochen wird. Es soll zunächst
um Manuskripte gebeten werden, und gefragt werden, wie sie sich zu dem Plan
einstellen. Lewin u. Köhler treten mit Freyr in Verbindung, Reichenbach mit
Jaspers, Heidegger, Geiger. Spranger scheidet wohl ganz aus, ebenso Hartmann.
4) Reichenbach teilt mit, dass ihm bisher folgende Arbeiten versprochen wurden:
Russell, Vagueness (liegt schon da)
Reichenbach, Die Kausalbehauptung und die Möglichkeit ihrer empirischen Nachprüfung. (fertig)
Bernays, Zur Axiomatik der Logik (bis 1. Dez.)
Behmann, Über analytische und synthetische Urteile (bis 1. Dez.)
Gerhards, .......... (bis 1. Dez.)
Heider, Ding und Medium. (bis 1. Dez.)
Jean Nicod, .......... (Freund Russells, in englischer Sprache)
Köhler, Maschine und Lebewesen.
Lewin, Zur vergleichenden Wissenschaftslehre.
Hertz, Über logisches Schliessen.
5) Für die redaktionelle Form kann die Psyfo als Muster dienen. Ein Heft er-
scheint, wenn die betr. Arbeiten zusammen sind. Philosophische Arbeiten sind
durchweg lang, 40-60 Seiten ist normaler Umfang, 100-130 Seiten ist lang.
Die Redaktion muss unbedingt auf knappe Form drängen und darf vor keiner
Härte zurückscheuen; aber die Arbeit darf auch nicht unverständlich werden.
Ein Band zu 4 Heften (bezw. 2 Doppelhelften) soll ungefähr 400 Seiten haben,
für das Jahr sind ungefähr 1-2 Bände in Aussicht zu nehmen. - Das Einzelhelft soll
mehr als 1 Arbeit enthalten, auch längere Arbeiten nicht als Sonderhefte oder
Beihefte, sondern einfach eingereiht. Nur ganze Hefte sind einzeln im Buch
handel käuflich, auch nach Jahren. Kein Sondervertrieb einzelner Arbeiten in
Buchform. - Buchbesprechungen sollen gemacht werden, aber nur über wichtige
Erscheinungen, Vollständigkeit wird nicht beansprucht. - Autor erhält Sonder-
drucke wie bei der Psyfo.
6) Zulässige Sprachen sind englisch und deutsch, keine andere.
7) Das erste Heft soll programmatisch sein und ein Bild der Zs. geben, es
Reichenbach zu sammeln und werden an Springer weitergegeben, auch ausländische
Adressen. Das erste Heft soll etwa Weihnachten in Druck kommen, und kann dann
im Februar erscheinen.
8) Herr Springer erklärt seine grundsätzliche Einwilligung, den Verlag der
Zeitschrift zu übernehmen.
Reichenbach