<date/> <place/> <translator/> <lang>de</lang> <cvs_file>/REICHENBACH_AN_MS_19231212.xml</cvs_file> <cvs_version/> <locator/> </info> <text> <body> <chap> <pb/> <p type="main" id="id16933200">Hans Reichenbach an Moritz Schlick</p> <p type="main" id="id16933272"/> <p type="main" id="id16933344"/> <p type="main" id="id16933416">Dr. HANS REICHENBACH</p> <p type="main" id="id16933488">STUTTGART-OSTHEIM</p> <p type="main" id="id16933560">TECKSTRASSE 75</p> <p type="main" id="id16933632">12. 12. 23.</p> <p type="main" id="id16936296"/> <p type="main" id="id7908352">Lieber Herr Schlick, </p> <p type="main" id="id7908424">ich war bei Jaspers u. habe einen sehr guten<lb/> Eindruck von ihm gewonnen. Es ist natürlich ein ausser-<lb/> ordentliches Wagnis, derart verschiedene Richtungen<lb/> wie Jaspers u. die Naturwissenschaftler in einer Zs. zu<lb/> vereinigen. Jaspers selbst hat bisher wenig Kenntnis von<lb/> der naturwissenschaftlichen Philosophie. Er hatte bisher<lb/> die Auffassung, dass es sich hier um fachliche Spezial-<lb/> arbeit, und nicht um Philosophie handelt; z.B. math.<lb/> Logik, Axiomatik. Ich versuchte ihm dann die<lb/> Probleme unserer Richtung darzulegen; er war schliesslich<lb/> überrascht, zu bemerken, dass hier wirklich philosophische<lb/> Probleme angepackt u. energisch gelöst werden, z.B.<lb/> das Problem der Zeit, der Kausalität, des Unendlichen,<lb/> des Verhältnisses von Logik u. Grammatik u.s.w. Dieser<lb/> Teil unserer Unterredung ist mir symptomatisch. In den<lb/> weitesten philosophischen Kreisen hat man gewiss dieses<lb/> Vorurteil gegen die Naturwissenschaftler, u. es ist sehr zu<lb/> hoffen, dass durch die Zusammenführung dieser<lb/> Richtungen in einer Zs der Bann gebrochen wird.<lb/> Ebenso wie diese Berührung andrerseits die Naturwissen-<lb/> schaftler zwingen wird, ihre Entdeckungen in philos.<lb/> Form zu sagen, u. sie nicht länger unter mathe-<lb/> matischer Kleinarbeit zu verbergen. Erst dann können<lb/> auch die andern diese Resultate verwerten. Hier<lb/> liegt die grosse Möglichkeit der neuen Zs. Die Gefahr<lb/> besteht darin, dass es ev. nicht zur Verständigung<lb/> kommt, u. 2 Arten von Arbeiten unverbunden<pb/> nebeneinander erscheinen. Jaspers nannte als<lb/> mögliches Thema für ihn: Der Fall der heiligen<lb/> Therese, und die Beziehung von Geist und Erlebnis.<lb/> (ungefähr.) Es ist sehr kühn, eine solche Arbeit neben<lb/> eine Arbeit aus der symbolischen Logik zu setzen!<lb/> Wenn es gelingt, ist es gut. Es besteht aber die Gefahr,<lb/> dass die Mathematiker sich von uns wieder<lb/> abwenden u. uns zu unexakt finden. Es wird,<lb/> bei der Neigung der Mathematiker zur Absonderung,<lb/> nicht leicht sein, sie für den Plan der alles-<lb/> umfassenden Zeitschrift zu gewinnen.</p> <p type="main" id="id7908496">Andrerseits scheint es mir, dass es in der<lb/> engeren Form, die ich ursprünglich im Auge hatte<lb/> u. die nur unsere Richtung umfasste, nicht durch-<lb/> zusetzen ist. Springer will, aus verlegerischen Gründen,<lb/> von vornherein möglichst weite Kreise fassen. Durch<pb/> Köhlers Eintreten für die geisteswissenschaftliche<lb/> Richtung ist er jetzt noch mehr in dieser<lb/> Auffassung bestärkt worden. Unter diesen Umständen<lb/> ist Jaspers wohl noch das geringste Übel. Dass ihn<lb/> mit uns sehr viel Positives verbindet, fühle ich<lb/> stark; wenn auch die Form des Arbeitens grosse<lb/> Unterschiede aufweist.</p> <p type="main" id="id7908568">Jaspers schlägt vor, Jäger (Berlin) noch<lb/> hinzuzunehmen, als Vertreter einer einzelnen<lb/> Geisteswissenschaft (Geschichte). Köhler ist auch für<lb/> Jäger. Nachdem wir einmal grundsätzlich die<lb/> Erweiterung wollen, bin ich auch für diesen Vorschlag.<lb/> Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie auch<lb/> schon einmal seinen Namen erwähnt. Ich habe<lb/> Köhler gebeten, mit Jäger zu sprechen.</p> <p type="main" id="id7908640">An Russell hatte ich schon vorher<pb/> geschrieben u. die Antwort erhalten, dass er Jaspers<lb/> nicht kennt.</p> <p type="main" id="id7908712">Dagegen bin ich unbedingt gegen Wertheimer.<lb/> Nicht wegen seiner Person, sondern weil er mit Köhler<lb/> zusammen die Psy.Fo. darstellt. Wenn das ganze<lb/> Berliner Institut unter den Herausgebern erscheint,<lb/> sind wir den Mathematikern u. Physikern von<lb/> vornherein verdächtig. Und wir müssen unbedingt<lb/> auf Selbständigkeit unserer Zs. halten.</p> <p type="main" id="id7908784">Noch eins: der Titel „Zs f. philos. Forschung“<lb/> erscheint mir jetzt doch recht unglücklich. Jaspers<lb/> hatte sofort eine starke Opposition gegen den Titel.<lb/> Er ist eine schlechtere Ausgabe von Psych. Forschung,<lb/> schlechter, weil länger. Man soll ein gutes Schlagwort<lb/> nicht zum zweitenmal bringen, besonders nicht in<lb/> weniger markanter Form. Wenn man nichts Gutes<lb/> weiss, ist ein formaler Titel besser, z. B. Philos. Zeitschr.</p> <p type="main" id="id7907272">Dies ist der Stand der Dinge zur Zeit!</p> <p type="main" id="id7907344">In Eile Ihr</p> <p type="main" id="id7907200">Hans Reichenbach</p> <p type="main" id="id7905328"/> </chap> </body> </text> </archimedes>