<date/> <place/> <translator/> <lang>de</lang> <cvs_file>/REICHENBACH_AN_MS_19240123.xml</cvs_file> <cvs_version/> <locator/> </info> <text> <body> <chap> <pb/> <p type="main" id="id16919624">Hans Reichenbach an Moritz Schlick</p> <p type="main" id="id16919696"/> <p type="main" id="id16919768"/> <p type="main" id="id16919840">Dr. HANS REICHENBACH</p> <p type="main" id="id16919912">STUTTGART-OSTHEIM</p> <p type="main" id="id16919984">TECKSTRASSE 7523. 1. 24.</p> <p type="main" id="id16920056"/> <p type="main" id="id16920128"/> <p type="main" id="id16920200">Lieber Herr Schlick, </p> <p type="main" id="id16920272">Lewin schrieb mir, Sie hätten an Köhler geschrieben,<lb/> dass Sie nun auch grosse Lust zum Rücktritt hätten. Ich habe<lb/> dadurch einen nicht gelinden Schreck bekommen, und will<lb/> Ihnen gleich schreiben. Ich möchte Sie sehr bitten, das nicht<lb/> zu tun; denn dann wäre der ganze Plan allerdings gescheitert.<lb/> Es ist schon jetzt sehr kritisch; von Springer habe ich noch<lb/> keine Antwort erhalten, weil er verreist ist, und weiss<lb/> daher noch nicht, wie er sich einstellt.</p> <p type="main" id="id16920344">Sehen Sie, ich bin durch Köhler in eine sehr<lb/> üble Lage gekommen. Von vornherein war Köhler derjenige,<lb/> der immer besondere Wünsche hatte und auf den wir<lb/> andern alle Rücksicht nehmen mussten. Da war zuerst<lb/> unser Titel; Köhler war dagegen, u. ich habe ihm nachgegeben,<lb/> um des Friedens willen. Dann verlangte Köhler, dass man<pb/> mit den bisherigen Ms. nicht anfängt, sondern auf eine<lb/> geisteswissenschaftliche Arbeit wartet. Ich habe ihm auch<lb/> darin nachgegeben, u. nach einem Ms. gesucht, darauf<lb/> schrieben Sie von der Kaufmannschen Arbeit.<note id="id16920416" n="1"> <p type="main" id="id16920488">Felix Kaufmann, Die Kriterien des Rechts: eine Untersuchung über die Prinzipien der juristischen Methodenlehre. Tübingen: Mohr 1924.</p> </note> Köhler<lb/> erklärte darauf, dass auch diese Arbeit nicht die richtige<lb/> sei. Freilich konnte auch er kein Ms. beschaffen.<lb/> Dann verlangte Köhler die Erweiterung durch geistes-<lb/> wissenschaftliche Herausgeber. Sie schlugen Scholz vor,<lb/> ich war auch einverstanden, - Köhler lehnte ab.<lb/> Dann fuhr ich nach Berlin, um endlich fertig zu werden<lb/> u. die offizielle Gründung zu vollziehen - das misslang,<lb/> weil Köhler darauf bestand, dass noch ein Geisteswissen-<lb/> schaftler hinzukommt. Ich habe auch da alles getan,<lb/> um Köhler nachzugeben, fuhr zu Jaspers - und jetzt<lb/> wo die Fusion mit der Geisteswissenschaft nicht gelingt,<lb/> weil Jäger ablehnt, und damit vermutlich auch<lb/> Jaspers, jetzt tritt Köhler zurück. Er ist schuld, dass<pb/> wir noch immer nicht weiter sind, und nun lässt er uns<lb/> einfach im Stich.</p> <p type="main" id="id16961584">Ich bin dadurch Springer gegenüber in eine<lb/> sehr unangenehme Lage gebracht. Es sieht so aus, als ob<lb/> ich schuld wäre, weil ich Wertheimer ablehnte. Aber dies<lb/> ist der einzige Punkt, in dem ich von Köhler ein Nachgeben<lb/> verlangte, sonst habe ich ihm stets nachgegeben. Ich kann<lb/> mich unmöglich darauf einlassen, dass das ganze Berliner<lb/> Psych. Institut unter den Herausgebern ist. Köhler u.<lb/> Wertheimer haben sich ja zur Vertretung ihrer Richtung<lb/> die Psy. Fo. gegründet. Es geht einfach nicht, dass sie noch<lb/> eine zweite Zeitschr. regieren. Nach allem, wie Köhler<lb/> bisher aufgetreten ist, muss ich annehmen, dass er,<lb/> verstärkt durch W., die Redaktion praktisch an sich<lb/> reissen will. Da er in Berlin ist, und Springer sehr auf ihn<lb/> hört, wäre ihm das leicht. Jedenfalls - ich kann meine<lb/> Arbeitskraft nicht damit verschwenden, dass ich dauernd<pb/> einen Widerstand Köhlers zu beseitigen habe. Er würde<lb/> ja doch vor jedem Heft erklären, die Ms. seien zu<lb/> einseitig ausgewählt - ohne dass er auch nur ein Ms.<lb/> nach seinem Geschmack heranbrächte.</p> <p type="main" id="id16961656">Lieber Herr Schlick, ich bitte Sie sehr, unter<lb/> diesen Umständen sich nicht durch Köhlers Rücktritt<lb/> entmutigen zu lassen. Meiner Ansicht nach ist es sachlich<lb/> besser, wenn wir in kleinerem Kreis anfangen. Eine Zs,<lb/> die die heilige Katharina mit mathemat. Logik vereint,<lb/> hat nicht viel Zweck - es braucht ja nicht eine Zs.<lb/> alle die Gebiete zu umfassen, die heute noch unter dem<lb/> Namen Philosophie zusammenhängen. Für allgemeine<lb/> Geistesgeschichte gibt es ja andere Zs, aber für exakte<lb/> Erkenntnistheorie eben keine. Und darum ist unsere Zs.<lb/> sachlich notwendig. Ich will deshalb unter allen Umständen<lb/> versuchen, sie auch zu verwirklichen, und würde schliesslich<lb/> auch einen anderen Verleger suchen, wenn Springer nicht will.</p> <p type="main" id="id16961728">Bitte verzeihen Sie, dass ich Ihnen schon schreibe, ehe Sie<lb/> mir überhaupt geantwortet haben, aber ich habe durch Lewins<lb/> Nachricht einen zu grossen Schreck bekommen. Ich bin mit bestem Gruss Ihr</p> </chap> </body> </text> </archimedes>