Sie würden dann den Erkenntnisbegriff wieder erweitern müssen und
wohl kaum noch den Namen „Eindeutigkeit' aufrecht erhalten. Auch
Ihr Wahrheitsbegriff kann doch nur heissen: unser positiv vorlie-
gendes System der Erkenntnis benutzt die Eindeutigkeit als Wahrheits-
kriterium (bzw. Definition). Daraus eine Folgerung auf jede spä-
tere Erkenntnis zu ziehen, halte ich für unberechtigt. Kant hat
diesen Schluss für notwendig gehalten, weil ihm die Vernunft unver-
änderlich schien (vergl. die von mir aus der Kritik der Urteils-
kraft zitierten Worte S. 68 (10) closeNote

Vgl. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, in: AA, Bd. 5, Berlin 1913, Einleitung Abschnitt V, S. 184f.

). Aber in Ihrem System erschien mir
eine solche Schlussweise immer störend (S. 344 Ihrer Erkenntnislehre (11) closeNote

Moritz Schlick, Allgemeine Erkenntnislehre. Berlin: Springer 1918, S. 344.

).
Übrigens teilt Einstein meinen Standpunkt in dieser Frage.

Noch eine Bemerkung: wenn Sie Psychologismus so definieren,
dass der Begriff der Konstanten ohne das Gleichheitserlebnis unmög-
lich wäre, so bin ich auch Psychologist. Aber was ist dies anders
als der kantische Satz: das "Ich denke" muss alle meine Vorstellun-
gen begleiten können?

Ihre Bemerkungen über die letzten Seiten meines Buches sind
sehr richtig. Sie sind in der Tat nur die flüchtige Andeutung eines
Problems, keine Aufklärung. Aber ich sehe auch in Ihren Worten noch
keine Erklärung dessen, was mir daran problematisch scheint.
Dass die „Evidenz' des euklidischen Raumes wegen seiner praktischen
Verwendbarkeit e n t s t a n d e n ist, glaube ich auch. Aber sie
bleibt doch ein sehr merkwürdiges Phänomen. Wenn ich z. B einen geo-
metrischen Beweis vollziehe, so ist dazu das logische Wissen der
Axiome nicht hinreichend, es muss noch der Gegenstand anschaulich
gedacht sein, obgleich gar nicht von physikalischen Geraden die
Rede ist. Auch in der nichteuklidischen Geometrie kann ich mir An-
schauungen bilden. Z.B. kann ich mir gut vorstellen, dass 8 recht-
winklige Würfel, alle mit einer Ecke zusammengelegt, nicht schlies-
sen. Damit setze ich aber wieder andere Eigenschaften der Würfel
anschaulich, z.B. dass jeder 8 Ecken hat. Was ist dies für eine Be-
stimmtheit des Gegenstandes? Das Problem trifft allerdings den
Gegenstandsbegriff der Mathematik, - nicht mehr der Physik -, aber