6. Kinetische Theorie des W ärmegleichgewichtes und des zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik; von A. Einstein.

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So gross die Errungenschaften der kinetischen Theorie der Wärme auf dem Gebiete der Gastheorie gewesen sind, so ist doch bis jetzt die Mechanik nicht im stande gewesen, eine hinreichende Grundlage für die allgemeine Wärmetheorie zu liefern, weil es bis jetzt nicht gelungen ist, die Sätze über das Wärmegleichgewicht und den zweiten Hauptsatz unter alleiniger Benutzung der mechanischen Gleichungen und der Wahrscheinlichkeitsrechnung herzuleiten, obwohl Maxwell’s und Boltzmann’s Theorien diesem Ziele bereits nahe ge- kommen sind. Zweck der nachfolgenden Betrachtung ist es, diese Lücke auszufüllen. Dabei wird sich gleichzeitig eine Erweiterung des zweiten Hauptsatzes ergeben, welche für die Anwendung der Thermodynamik von Wichtigkeit ist. Ferner wird sich der mathematische Ausdruck für die Entropie vom mechanischen Standpunkt aus ergeben.

§ 1. Mechanisches Bild für ein physikalisches System.

Wir denken uns ein beliebiges physikalisches System dar- stellbar durch ein mechanisches System, dessen Zustand durch sehr viele Coordinaten p 1 , ... p n und die dazu gehörigen Ge- schwindigkeiten

eindeutig bestimmt sei. Die Energie E derselben bestehe aus zwei Summanden, der potentiellen Energie V und der lebendigen Kraft L. Erstere sei eine Function der Coordinaten allein, letztere eine quadratische Function der

deren Coefficienten beliebige Function der p sind. Auf die Massen des Systems sollen zweierlei äussere Kräfte wirken.